bluffen

↓ bluffen ↓

Unter bluffen versteht man den Versuch, jemanden durch eine wissentlich falsche Darstellung zu täuschen. Das Bluffen ist ein zielgerichtetes Verfahren, dessen falsche Darstellung eine Fehleinschätzung einer Situation oder des Bluffenden bei seinem Adressaten hervorrufen soll. Von dieser intendierten Fehleinschätzung des Geblufften erhofft sich der Bluffende eine bestimmte Haltung und/oder Handlung des Anderen.

Bluffen ist immer Spiel zwischen Suggestion und Wahrheit. Jedoch ist es nicht nur Spiel, sondern immer auch die Ausübung psychischer Macht über den Geblufften. Dem Geblufften scheint, wenn er dem Bluff auf den Leim geht, die im Bluff dargestellte Wirklichkeit wahr­scheinlicher als die tatsächlichen Verhältnisse. Der Gebluffte entscheidet sich aufgrund dieser Annahme zu einer bestimmten Handlung, die zu seinem Nachteil, aber zum Vorteil des Bluffenden ist – so der Plan des Bluffenden.

Ein Bluff kann außer für Kartenspiele und Betrugsdelikte auch als poetischer Kunstgriff verwendet werden. Dabei ist zu unterscheiden, an wen sich der Bluff richtet. Entweder wird innerhalb einer Erzählung oder einer dramatischen Darstellung eine der beteiligten Figuren von einer anderen geblufft, oder die Gestaltung des Vorgangs folgt selbst dem Vorsatz, potentielle Rezipienten zu täuschen.

Ein Bluff innerhalb der fiktionalen Welt kann entweder so offensichtlich dargestellt werden, dass er dem Rezipienten ersichtlich wird und dieser mitfiebert, ob der Bluff aufgeht, oder aber der Bluff ist als solcher zwar erkennbar, nicht aber seine gesamte Tragweite, so dass der Rezipient am Ende verblüfft wird. Das poetische Potential des Bluffens entfaltet sich jedoch besonders in den Fällen, in denen der Rezipient geblufft werden soll. Hier wird mit seinen Erwartungen gespielt. Dieses Spiel zielt auf ein Finale, in dem die Auflösung stattfindet. Im Verlauf der Handlung werden dem Rezipienten Fakten vorgelegt. Aus der Perspektive des Bluffenden sollen sich diese in der Rezeption zu der von ihm intendierten Wirklichkeit verbinden. Im Finale kommt es dann zu einer Verknüpfung der vorgelegten Fakten, die der angenommenen Wirklichkeit widerspricht. Dem Rezipienten wird erst jetzt erkennbar, dass er getäuscht wurde.

Beim Bluffen als poetischem Verfahren geht es also zunächst darum, die Präsentation der Fakten so zu gestalten, dass der Rezipient dazu gebracht wird, eine bestimmte Haltung gegenüber den Personen und dem Geschehen einzunehmen. Jedoch bestünde für den Geblufften immer auch die Möglichkeit, zu erkennen, was ‚wirklich‘ vorgefallen ist, und somit eine andere als die nahegelegte Haltung einzunehmen.

Der Bluff gelingt, wenn der Gebluffte bis zum Schluss diese Wirklichkeit nicht erkennt. Ent­scheidend für das Gelingen des Bluffens sind die aristotelischen Grundsätze der „Notwendig­keit“ und „Wahrscheinlichkeit“ innerhalb der dargestellten Wirklichkeit. Aus dramaturgischer Sicht erfordert das poetischen Verfahren des Bluffens besonderes Geschick, da die Darstellung immer nachvollziehbar, die Auflösung trotzdem immer überraschend sein muss.

Anders als das Bluffen einer Person innerhalb der Handlung führt das Bluffen des Rezipienten nicht zu einer intendierten Reaktion zu dessen Nachteil (und zum Vorteil des Bluffenden). Mit dem Bluffen wird dem Rezipienten vielmehr das Angebot unterbreitet, im Nachhinein eine zweite Geschichte zu erleben. Nachdem ihm eröffnet wurde, wie die Handlung bis zum Finale hätte verlaufen können, hat er die Möglichkeit, nach der Auflösung eigenständig zu rekonstru­ieren, was innerhalb der erzählten Handlung wirklich vorgefallen ist und wie es möglich war, dass dies bis zum Ende unerkannt blieb. So kann Bluffen als poetisches Verfahren im besten Fall darauf aufmerksam machen, dass Vorstellungen von Wirklichkeit stets auf Konstruktionen beruhen.

30. 05. 11 /// Kolja Unger

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B. als Ermittlungsmethode im Kriminalroman: Friedrich Dürrenmatt, Der Richter und sein Henker (1950/51) /// B. als Spannungselement im Film: The Game (David Fincher 1997), Lucky Number Slevin (Paul McGuigan 2006), Maverick (Richard Donner 1994), Ocean’s Eleven (Steven Soderbergh 2001), The Spanish Prisoner (David Mamet 1997), The Sting (George Roy Hill 1973), Wild Things (John McNaughton 1998) /// offengelegtes B. als Verfahren indirekten Erzählens: Wolf Haas, Das Wetter vor 15 Jahren (2006)

30. 05. 11 /// K.U.

← Forschungsliteratur →

Aristoteles, Poetik, übers. und erl. von Arbogast Schmitt, Berlin 2008 (= Werke in deutscher Über­setzung 5) /// Fred Berger, Ron Halbright, Bluffen als Beispiel geschlechtsspezifischer Auffälligkeit, Zürich 1998 /// Peter Berz, „Die Kommunikation der Täuschung. Eine Medientheorie der Mimikry“, in: Andreas Becker, Martin Doll, Serjoscha Wiemer und Anke Zechner (Hrsg.), Mimikry. Gefährlicher Luxus zwischen Natur und Kultur, Schliengen 2008, S. 2744 /// Christian Gizewski, „Täuschung als Erfolgsprinzip öffentlicher Argumentation. Ein praktisches Erbe antiker Rhetorik“ (http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2007/1723/pdf/RhetErbe.pdf), Berlin 1999 /// Internetauftritt des Deutschen Spielkartenmuseums:http://www.spielkartenmuseum.de/docs/start.html

30. 05. 11 /// K.U.

↑ Postskriptum ↑

Das Bluffen als eine Spielart der Täuschung ist in seiner Spezifik und Wirkung kaum erforscht. Die meisten Beschäftigungen mit dem Bluffen stammen aus dem Bereich der Karten- und Gesellschafts­spiele. Das Bluffen wird hier als eine Kunst verstanden (Definition Spielkartenmuseum). Trotz einer Erweiterung der Spielerfreiheit, die daraus resultiert, gelten weiterhin Spielregeln, von denen auch manche die Ausübung des Bluffens einschränken. So etwa das Verbot des ‚Mundbluffs‘ in vielen Kartenspielregeln durch den Grundsatz: ‚Gesprochenes ist Wahres‘.

Die Übertragung auf Täuschungsversuche außerhalb des Kartenspiels bedeutet einen Paradigmen­wechsel in der Beurteilung dieser. Bei verwandten bzw. im Bluffen beinhalteten poetischen Verfahren wie dem Lügen, dem Vorenthalten oder der Manipulation stehen moralische Bewertungskriterien im Vordergrund. Das Bluffen hingegen wird vielmehr anhand von rhetorischen und strategischen Kriterien bewertet. Hinter der zunehmenden Popularität des Bluffens im 19. und 20. Jahrhundert lässt sich auch eine allgemeine Abwendung von metaphysischen Gesetzen vermuten (‚Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen!‘).

30. 05. 11 /// K.U.