verspotten

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Verspotten meint, eine Person oder eine Personengruppe schreibend lächerlich darzustellen und somit zu erniedrigen. Dafür notwendig ist die Nachahmung des Verspotteten, wobei aber einzelne Eigenschaften herausgestellt und übertrieben werden. Verspotten impliziert eine Kritik an der verspotteten Person oder Personengruppe oder an dem durch sie repräsentierten Wertesystem.

Das Verspotten als Kritik an einer Person bedarf eines ernsthaften Hintergrundes und des klaren, nachvollziehbaren Bezugs zur realen Person oder Personengruppe. Daher nimmt die literarische Darstellung des Verspotteten einen großen Raum ein, die Charakterisierung ist elementarer Bestandteil dieses Verfahrens. Der Spottende nimmt eine erhöhte Position dem Verspotteten gegenüber ein. Tut er dies nicht, sondern erscheint selbst als unterlegen, entlarvt er über das Verspotten anderer seine eigenen Unzulänglichkeiten, setzt sich also selbst dem Spott aus. Die Kritik an der Person kann bei dieser Form des Verspottens gängige Werte zur Grundlage haben. Eine Notwendigkeit der Kritik muss offenbar werden. Diese berechtigt den Spottenden dazu, sprachliche und inhaltliche Tabus zu brechen.

Das Verspotten als Kritik an einem Wertesystem findet durch die stereotype Darstellung einer Figur statt, die für das entsprechende Wertesystem als repräsentativ gelten kann. Einzelne Eigenschaften werden übertrieben, sodass die Authentizität der verspotteten Figur bzw. der Bezug zur realen Person in den Hintergrund rückt. Auch die Unterstellung objektiv nicht vorhandener Eigenschaften einer realen Person ist möglich, denn das Verspotten zielt entgegen der vorherig beschriebenen Möglichkeit des Verspottens nicht auf die Kritik an einer Person, sondern auf die Relativierung der Kriterien zur Beurteilung der Person und gesellschaftlicher Stereotypen. Daher muss der Spottende sich nicht moralisch über den Verspotteten erheben. Spottender, Verspotteter und Rezipienten bilden in diesem Fall ein Kollektiv. Die Wertvorstellungen werden relativiert. Die gegenwärtigen Umstände erscheinen als veränderbar. Dadurch entsteht ein utopisches Potential, sowohl im gesellschaftlich-politischen Sinne als auch als poetischer Freiraum, der es zulässt, sprachliche Grenzen zu überschreiten und gegebene Denksysteme, wie z. B. die Logik, zu unterwandern.

Verspotten verhandelt immer einen Widerspruch. Dieser kann entweder zwischen dem Bild des Verspotteten von sich selbst und dem, was er für andere ist, oder zwischen dem gesellschaftlich anerkannten Stereotyp der Personengruppe, die der Verspottete repräsentiert, und dem Verspotteten im Konkreten bestehen. Dieser Widerspruch drückt sich z. B. in uneigentlicher Rede wie z. B. der scheinbaren Herabsetzung der eigenen Person oder der Verbindung von Lob und Tadel aus.

Verspotten zielt auf die Darstellung von Widersprüchen zwischen Selbst- und Fremdeinschätzungen, Idealbild und realer Grundlage oder zwischen unterschiedlichen Wissensständen. Das erzeugt einen Reibungsaspekt, der als komisch oder absurd wahrgenommen wird. Das Verfahren des Verspottens schafft durch die Herstellung ungewöhnlicher Zusammenhänge einen utopischen Raum, in dem Möglichkeiten jenseits herrschender Denk- und Sprachsysteme einen Platz haben.

13. 03. 10 /// Janna Schielke

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V. als Verlachen von Stereotypen: Aristophanes, Die Wespen (442 v. Chr.) /// V. als Verlachen des gängigen Wertesystems: Francois Rabelais, Gargantua und Pantagruel (1532-1564); Johann Fischart, Geschichtsklitterung (1575/90); Walter Serner, Die Langeweile und der Krieg (1915); Eugène Ionesco, Die kahle Sängerin (1950) /// V. als Kritik an einer Personengruppe: Max Ernst, Pollutionsgefahr (1931); Feridun Zaimoglu, German Amok (2002) /// Verspotten als Selbstentlarvung: David Foster Wallace, Kleines Mädchen mit komischen Haaren (1989)

13. 03. 10 /// J.S.

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Andrea Ercolani, Spoudaiogelon – Form und Funktion der Verspottung in der aristophanischen Komödie, Stuttgart, Weimar 2002 /// Ute Drechsler, Die absurde Farce, Tübingen 1988 /// Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt, Frankfurt am Main 1995 /// Wolfgang Promies, Der Bürger und der Narr oder das Risiko der Phantasie, Frankfurt am Main 1986 /// Christoph Auffahrt, Sonja Kerth (Hg.), Glaubensstreit und Gelächter – Reformation und Lachkultur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Berlin 2008 /// Rüdiger Zymner, Manierismus – Zur poetischen Artistik bei Johann Fischart, Jean Paul und Arno Schmidt, Paderborn 1995 /// Jens Ivo Engels, Vaudeville – Stimmen in der Stadt. Der König in politischen Liedern, in: Königsbilder. Sprechen, Singen und Schreiben über den französischen König in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, Bonn 2000 /// Werner von Koppenfels, Der andere Blick oder das Vermächtnis des Menippos, München 2007

13. 03. 10 /// J.S.

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Für das Verspotten bieten sich grundsätzlich Medien an, die ein Potential für Verkörperung haben. So ist erklärbar, dass das Verfahren des Verspottens vor allem im Theater angewandt wird. Hier ist eine direkte Verkörperung einer Person oder eines Stereotyps möglich. Spottender und Verspotteter sind direkt als Personen auszumachen. Außerdem impliziert figurenbezogenes Theater immer das Paradoxon, dass ein Schauspieler sowohl als Zeichenträger seiner Rolle fungiert, als auch sich selbst, zumindest in seiner körperlichen Präsenz, zur Anschauung bringt. Dadurch ist es möglich, gleichzeitig eine Person oder die Repräsentation eines Stereotyps charakterisierend darzustellen und aus einer Distanz heraus zu bewerten und zu erniedrigen. Auch die Schaffung von ständigen Kunstfiguren, bei denen die Grenze zur ‚realen‘ Person verwischt ist, bietet sich in diesem Zusammenhang an. So nutzt z. B. Walter Serner diese Ambivalenz, indem er eine Persönlichkeit ist, die an sich schon sowohl den kulturellen Mainstream als auch sein eigenes kulturelles Umfeld, die Zürcher Dada-Szene, verspottet.

Auffällig bei der historischen Betrachtung ist auch, dass die Verspottung als Kritik an einem Wertesystems besonders in der Antike und der Renaissance weitverbreitet war. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass für das Verspotten ein Kollektiv gleicher Wissensstände und Wertvorstellungen notwendig ist. Ein solches, wie es in den Städtegemeinschaften der Renaissance vorhanden gewesen sein mag, ist gegenwärtig schwer zu finden. „Öffentlichkeit“ bedeutet nicht mehr der städtische Marktplatz, sondern mediale Präsenz, die eine breite, zumindest theoretisch weltweite, anonyme Masse an Menschen erreicht. Verspotten kann dabei auch Kollektive schaffen, indem sich die Rezipienten gegenüber den Verspotteten abgrenzen bzw. gegenüber denjenigen, die am verspotteten Wertesystem festhalten oder den Spott nicht verstehen. So sind z. B. die Stücke von Eugène Ionesco als klare Abgrenzung vom spießigen Bürgertum zu verstehen. ‚Fangemeinden‘ können ein ähnliches Phänomen darstellen. Problematisch ist dabei, dass das auf ein Wertesystem zielende Verspotten als Herabsetzung konkreter Personen verstanden werden kann, sobald es durch Nicht-Mitglieder eines Werte- und Wissenskollektiv rezipiert wird.

13. 03. 10 /// J.S.