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lesen

↓ lesen ↓

Lesen bedeutet in Bezug auf das Schreiben, dass der im Entstehen begriffene Text von bereits bestehenden Texten beeinflusst wird, oder in einem technischen Sinn, dass ein Text nur mit Hilfe von Lesehandlungen überhaupt geschrieben werden kann.

Ein völlig voraussetzungsloses, vom Lesen losgelöstes Schreiben ist schwer denkbar, wenn nicht gar unmöglich. Aus diesem Grund muss, wenn von Schreibprozessen die Rede ist, das Lesen als integraler Bestandteil und als Bedingung der Möglichkeit des Schreibens mitgedacht werden.

Lektüreprozesse sind in zweierlei Hinsicht am Schreibprozess beteiligt.

Das Lesen von fremden Texten mag als Inspirations- oder Informationsquelle für das eigene Schreiben dienen, es kann mehr oder weniger extensiv, umfassend oder punktuell betrieben, von thematischen, formalen oder anderen Interessen geleitet sein und willkürlich gesteuert (suchend, recherchierend) oder zufällig erfolgen, wobei in den meisten Fällen von einer Kombination dieser Merkmale ausgegangen werden muss. Je nach Art des eigenen Schreibprojekts und der damit verbundenen Motivation für die Lektüre können Texte unterschiedlichster Textgattungen aus verschiedenen Epochen konsultiert werden. Das Lesen von fremden Texten kann als vorbereitende, sich einarbeitende Lektüre dem Schreiben vorgängig – als Sammeln im wörtlichen Sinn von lat. legere – erfolgen, wobei der zeitliche Abstand zwischen dem Lesen und Schreiben grösser oder geringer sein kann. Fremde Texte können aber auch parallel zum Schreiben gelesen werden und im Dienste eines weiteren Nachforschens stehen, das vom eigenen Schreibprojekt geleitet ist und dessen weitere Entwicklung beeinflusst. Das poetische Potential des Lesens von fremden Texten liegt entsprechend darin, Inspirationen oder Hintergrundinformationen für das Schreiben zu liefern, als Anknüpfungspunkt zu dienen, von dem aus es möglich wird, weiter zu denken und zu schreiben, oder sich kritisch davon abzusetzen. Als Folge einer lesenden Auseinandersetzung mit fremden Texten steht der neue Text in einem Dialog mit ihm vorangehenden Texten (Intertextualität).

Neben der Lektüre von fremden Texten ist das Lesen von eigenen Texten noch direkter am Schreibprozess beteiligt. Es kommt sowohl bei Texten, die dem Schreiben vorangehen und dieses fortlaufend unterstützen, als auch im Lesen des bereits zu Papier bzw. auf den Bildschirm Gebrachten, sowie im simultanen Lesen des soeben Geschriebenen zum Zug. Gemäss diesen drei Funktionen lässt sich das poetische Potential der Lektüre von eigenen Texten nach drei Gesichtspunkten unterscheiden. Im ersten Fall wird aus meist stichwortartigen Notizen, Exzerpten von und Anmerkungen in gelesenen fremden Texten oder Visualisierungen der Gedanken (z.B. in Form von Mindmaps) ein kohärenter, strukturierter Text hergestellt. Die Relektüre des bereits Geschriebenen erfüllt primär den Zweck, sich im eigenen im Entstehen begriffenen Text zu orientieren, um weiterschreiben zu können, evoziert aber oft Korrekturen, Ergänzungen, Reformulierungen oder Umstrukturierungen. Der dritte, eher technische Aspekt des Lesens (das simultane Verfolgen der Aneinanderreihung von Zeichen) ermöglicht erst das Schreiben und ist somit jedem Schreibverfahren inhärent. Das Ziel all dieser einander bedingenden Lese- und Schreibhandlungen liegt darin, einen Text herzustellen, der die an ihn gestellten Erwartungen erfüllt und der gelesen – und potentiell weitergeschrieben – werden will.

26. 02. 16 /// Bettina Rimensberger

→ Wegmarken ←

L. als Wiederaufnahme und Verbesserung eines bekannten Textes oder Stoffes: Mittelalterliche Helden- und Legendenliteratur, Artusepik, Antikenroman /// L. als Sammeln und Kompilieren von Zitaten und Textstellen: Centos, Florilegien /// kritisch reflektierendes L.: literarische Kritik /// erklärendes L.: Kommentar /// verzerrendes, verspottendes, imitierendes L.: Parodie /// übertragendes L.: Übersetzung /// L. und Schreiben im Austausch zwischen Autoren als Vorbereitung von Schreibprojekten: Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller über das Projekt Faust /// L. als poetisch produktives Kettenphänomen zwischen verschiedenen Autoren (Dichterduell): Heinrich von Kleist, Penthesilea (1808) – Johann Wolfgang von Goethe, Die wunderlichen Nachbarskinder in Die Wahlverwandschaften (1809); Johann Wolfgang von Goethe, Die Leiden des jungen Werthers (1774) – Heinrich von Kleist, Der neuere (glücklichere) Werther (1811), entstanden als Reaktion auf Goethes Verunglimpfung von Kleists Penthesilea in Die wunderlichen Nachbarskinder /// L. als Motor für Nach-, Um- und Weiterdichtungen: Johann Wolfgang von Goethe, Die Leiden des jungen Werthers (1774) – Wertheriaden /// L. als Basis für eine an der Oralität des Originals orientierte „Übersetzung“: Oskar Pastior, o du roher iasmin. 43 intonationen zu «harmonie du soir» von charles baudelaire (2002) /// L. als Montagetechnik: Poetisches Verfahren von Friederike Mayröcker (Inspiration durch gesammelte Zettel in einem Korb) /// (Viel-)Lesen als Inspirationsquelle: Zitieren und verdecktes Zitieren bei Robert Walser /// Wiederlesen eigener Texte, das eine Umarbeitung auslöst: Robert Walser, Mikrogrammentwürfe und Reinschriften; verschiedene Fassungen ‚desselben‘ Texts: Gottfried Keller, Der grüne Heinrich (erste Fassung 1854/55, neue, stark veränderte Ausgabe 1879/80) /// Wiederlesen und Weiterschreiben eigener Texte: Michel de Montaignes Arbeit an seinen Essais in Form unablässiger Revisionen

26. 02. 16 /// B.R.

← Forschungsliteratur →

Hans-Jost Frey, Der unendliche Text, Frankfurt am Main 1990; ders., Lesen und Schreiben, Basel/Weil am Rhein/Wien 1998; ders., „Lesen“, in: Jürg Berthold und Boris Previsic (Hg.), Texttreue. Komparatistische Studien zu einem masslosen Massstab (= Collection Variations, Vol. 9), Bern 2008, S. 209-213 /// Almuth Grésillon, „Lire pour écrire: Flaubert lector et scriptor“, in: Alfred Messerli und Roger Chartier (Hg.), Lesen und Schreiben in Europa 1500-1900. Vergleichende Perspektiven – Perspectives comparées – Perspettive comparate, Basel 2000, S. 593-208; dies., „Über die allmähliche Verfertigung der Texte beim Schreiben“, in: Sandro Zanetti (Hg.), Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte, Berlin 2012, S. 152-186; dies., „Literarische Schreibprozesse“, in: Kirsten Adamzik, Gerd Antos und Eva-Maria Jakobs (Hg.), Domänen- und kulturspezifisches Schreiben (= Textproduktion und Medium, Bd. 3), Frankfurt am Main u.a. 1997, S. 239-253, insb. S. 243-246 /// Olaf Kutzmutz und Stephan Porombka (Hg.), Erst lesen. Dann schreiben: 22 Autoren und ihre Lehrmeister (= Ästhetik des Schreibens, Bd. 1), München 2007 /// Otto Ludwig, „Lesen, um zu schreiben: ein schreibtheoretischer Aufriß“, in: Davide Giuriato, Martin Stingelin und Sandro Zanetti (Hg.), „Schreiben heißt: sich selber lesen“. Schreibszenen als Selbstlektüren (= Zur Genealogie des Schreibens, Bd. 9), München 2008, S. 301-311 /// Peter Villwock, „Was stand in Gottfried Kellers Bibliothek?“, in: Roland Reuß, Wolfram Groddeck und Walter Morgenthaler (Hg.), Text.Kritische Beiträge, Heft 4, Frankfurt am Main 1998, S. 99-118

26. 02. 16 /// B.R.

↑ Postskriptum ↑

Die in den Wegmarken und in der Forschungsliteratur aufgeführten Beispiele für die Beteiligung der Lektüre am Schreiben stellen notgedrungen eine kleine subjektive Auswahl dar. Literatur ohne Lesen und Gelesen-Werden ist undenkbar. Texte evozieren unendlich viele verschiedene Lektüren, die sich, in welcher Form auch immer, in neuen Texten, die wiederum gelesen werden, niederschlagen können. Lesen und Schreiben sind in einer nicht abschliessbaren Folge miteinander verkettet. Auch wenn die Schreibprozessforschung (insb. die Critique génétique) und stoff- und motivgeschichtliche Untersuchungen bestrebt sind, möglichst alle an der Entstehung eines Textes beteiligten Lektüreprozesse nachzuvollziehen resp. sämtliche Einflüsse in einem Text aufzudecken, ist die vollständige Rekonstruktion dessen, was einen Autor bei der Konzeption und Niederschrift eines Textes inspiriert haben mag, ein illusorisches Unterfangen. Wohl mögen Recherchen im Nachlass eines Autors anhand von überlieferten Briefen, Notizen, Tagebucheinträgen und Ähnlichem sowie (soweit zugänglich) ein Blick in seine Bibliothek wertvolle Informationen zur Beschäftigung eines Autors mit Texten und Büchern preisgeben. Jedoch ist es unmöglich, die Lesebiographie eines Autors vollständig zu rekonstruieren, zumal er sich ihrer in ihrer Gesamtheit selbst kaum bewusst sein kann. Gerade wenn die Lektüre eines Textes weit zurückliegt, droht dieser in der Erinnerung zu verschwimmen. Der erinnerte Text, der in ein Schreibprojekt einfliessen mag, kann sich unter Umständen vom tatsächlich gelesenen Text stark unterscheiden. Ein Autor kann sich einen bestehenden Text gemäss seinen eigenen Vorstellungen und Zielsetzungen (bewusst oder unbewusst) aneignen.

Im Zusammenspiel von Lesen und Schreiben ist die vermeintliche Dichotomie von passiver Rezeption (Lesen) und aktiver Produktion (Schreiben) kritisch zu hinterfragen. Lektüren wirken als Katalysatoren und vermögen eine poetische Produktivität auszulösen.

Weitet man im Sinn von Roland Barthes den Begriff des Lesens aus, darf neben schriftlichen Texten auch die Kultur (die Kunst, Musik, Architektur, die Interaktion mit Menschen etc.) als dem Menschen stetig begegnende und ihn und seine Schreibprojekte unweigerlich beeinflussende Inspirationsquelle betrachtet werden (Roland Barthes, Die Machenschaften des Sinns in: Das semiologische Abenteuer [frz. Original 1985]). Ein solches interpretierend-analysierendes Schreiben über (Alltags-)Dinge und kulturelle Praktiken vollführte Roland Barthes bereits in seinen Mythen des Alltags (frz. Original 1957).

In Die Vorbereitung des Romans, die auf den Notizen einer am Collège de France in den Jahren 1978-1980 gehaltenen Vorlesung beruht, kontrastiert Roland Barthes das Lesen und das Schreiben: „Lesen ist eine metonymische, unersättliche Tätigkeit; man zieht nach und nach alle Bereiche der Kultur an sich heran; als führe man hinaus aufs offene Meer, überlässt man sich dem Imaginären der Kultur, dem Konzert, der Polyphonie der tausend Stimmen der anderen, denen ich die meinige beimische […].“ Das Schreiben hingegen hat seiner Meinung nach die Funktion, „das Ausbluten des Imaginären [aufzuhalten]“, wie „der Finger, der auf das Imaginäre der Kultur gelegt wird und es stoppt; das Schreiben ist gleichsam die Geste, welche die Kultur aufhält.“ (Roland Barthes, Die Vorbereitung des Roman, Aus dem Französischen von Horst Brühmann, Frankfurt am Main 2008, S. 381 f.) Um dieses Wechselbad von Überschäumen und Eindämmen, Losziehen und Innehalten, Entdecken, Verarbeiten und Weiterdenken selbst zu erfahren, gibt es nur Eines: selbst möglichst viel zu lesen und zu schreiben.

26. 02. 16 /// B.R.

kritzeln

↓ kritzeln ↓

Kritzeln heißt, mit einem Stift spontan und erkundend Bewegungen zu vollziehen und dadurch Spuren zu hinterlassen. Kritzeln ist nicht Schreiben und auch nicht Zeichnen, kann aber davor, danach, dazwischen oder daneben geschehen. Kritzeln kennt, anders als es beim Schreiben und Zeichnen meist der Fall ist, kein übergeordnetes Ziel und steht in keinem Gebrauchskontext; man kritzelt nicht für etwas Bestimmtes. Genauso wenig kritzelt man etwas Bestimmtes. Kritzeln kennt keinen Referenten, das Gekritzelte verweist immer nur auf sich selbst. Kritzeln kann nicht scheitern, bleibt vorläufig und stößt aus sich heraus an keine Grenzen.

Innerhalb eines Schreibprozesses wird dann gekritzelt, wenn sich die Hand verselbstständigt. Das Schreiben wird unterbrochen, die Bewegung des Schreibens bleibt aber erhalten. Gekritzelt wird beiläufig, Kritzeln bedeutet abzuschweifen, die geordnete Schrift zu verlassen und andere grafische Ausdrucksweisen zu erkunden. Die Tätigkeit, die Bewegung selbst steht im Vordergrund und nicht, was dabei herauskommt. Kritzeln hinterlässt sichtbare Spuren und lässt die materielle und visuelle Dimension des Schreibens sowie die Fläche des Blattes in den Vordergrund treten. Kritzeleien können sich auf den Blattrand beschränken, der Schrift den Platz auf dem Papier streitig machen oder sich auch über das Geschriebene ausdehnen.

Kritzeln dient nicht dazu, das Geschriebene zu ergänzen oder zu illustrieren, sondern eröffnet einen grafischen Nebenschauplatz. Dabei wird kein Ziel verfolgt; wer kritzelt, kann sich gedanklich mit etwas ganz anderem oder auch mit nichts beschäftigen, muss sich nicht anstrengen und muss nicht wissen, was auf dem Papier entsteht. Somit ist Kritzeln freier und ungeordneter als Schreiben. Diese Differenz zum Schreiben kann während des Kritzelns wahrgenommen werden und entsprechend auf das Schreiben zurückwirken. Die Gedanken können beim Kritzeln potentiell stärker abschweifen und ungeordneter sein als während des Schreibens, was neue, unvorhergesehene Einfälle begünstigen kann. Oft wird in einem zweiten Schritt auf das Gekritzelte reagiert, indem Formen darin erkannt und hervorgehoben, Ergänzungen gemacht oder Verbindungen hergestellt werden. Ein solcher Revisionsprozess kann dazu führen, dass auch bereits Geschriebenes, also nicht nur das Gekritzelte, überarbeitet wird.

Kritzeln kann als offene, explorative Schreibpause angesehen werden, die durch die Fortsetzung der Handbewegung sowie die grafische Spur mit dem Schreiben gleichwohl in Verbindung bleibt. Dies allerdings nur dann, wenn nach dem Kritzeln weitergeschrieben wird. Gelingt dieser Übergang nicht, kann Kritzeln das Ende des Schreibens bedeuten, und somit birgt Kritzeln im Kontext eines Schreibvorhabens immer auch eine Gefahr. Als Schreibpause kann Kritzeln entlastend wirken, weil es keine kognitive Kontrolle, kein Geschick und keine Konzentration erfordert. Das poetische Potential des Kritzelns liegt darin, dass es in dieser Entlastung und Absichtslosigkeit, diesem Abschweifen und beiläufigen Tätigsein möglich ist, neue Impulse für den Schreibprozess zu gewinnen, wobei diese Impulse auch jenseits eines aktuellen Vorhabens wirksam werden können.

09. 04. 15 /// Laura Basso 

→ Wegmarken ←

Von K. befallenes Schreiben: Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher /// K. als lästige, selbstständige Bewegung der Feder, die das Schreiben verhindert: Friedrich Nietzsche, „Die Feder kritzelt“,  in: Die fröhliche Wissenschaft (1882) /// K., das sich aus dem Zeichnen heraus ergibt und Überhand gewinnt: literarisch dargestellt bei Gottfried Keller, Der Grüne Heinrich (1879) /// K. als abweichende Schreibbewegung: z.B. Franz Kafka, Das Schloss (1926) /// K. als künstlerische Praxis, bei der Gestik und Materialität des Zeichnens/Schreibens im Vordergrund stehen: Cy Twombly /// (Ab-)Schreiben, dass sich in K. auflöst und dadurch zum (Schrift-)Bild wird: Simon Hantaï, Peinture (Écriture rose) (1958-9) /// Vermeintliches K., bis die nach Gekritzel aussehenden Linien als sehr kleine Schrift erkannt wurden: Robert Walser, Mikrogramme /// K. als Übergang zur Illustration: z.B. bei Mechthilde Lichnowsky

09. 04. 15 /// L.B.

← Forschungsliteratur →

Roland Barthes, Cy Twombly, Berlin 1983 /// Roland Barthes, „Sagesse de l’art“ (1979) und „Cy Twomby ou ‚Non multa sed multum‘“(1979), in: Oeuvres complètes, Tome III, Paris 2002, S. 1021–1032 und S. 1033–1047 /// Jacques Derrida, Le toucher, Jean-Luc Nancy, Paris 2000 /// Christian Driesen, Rea Köppel, Benjamin Meyer-Krahmer und Eike Wittrock (Hg.), Über Kritzeln. Graphismen zwischen Schrift, Bild, Text und Zeichen, Zürich 2012 /// Simon Hantaï, Jean-Luc Nancy und Jacques Derrida, La connaissance des textes. Lectures d’un manuscrit illisible (Correspondance), Paris 2001 /// Heinrich Steinfest, Randzeichnungen. Nebenwege des Schreibens, hg. vom Deutschen Literaturarchiv Marbach, Marbach am Neckar 2010

09. 04. 15 /// L.B.

↑ Postskriptum ↑

1. Das hier beschriebene Kritzeln ist an Papier oder andere gegenständliche (Schreib-)Flächen gebunden und dementsprechend nur in solchen Schreibprozessen (oder Phasen davon) möglich, die von Hand geschehen. Es ist jedoch denkbar, dass sich beim Schreiben mittels Textverarbeitungsprogrammen andere Formen des Abschweifens oder der Entlastung zeigen (wie beispielsweise im Internet zu surfen), die gewissermaßen als digitales Kritzeln fungieren. Wobei der graphische Aspekt natürlich verloren geht. Auch der im Kritzeln vollziehbare Übergang von Schreiben zu Zeichnen und umgekehrt scheint am Computer nicht möglich zu sein, jedoch kann digitales Kritzeln auch, und vielleicht noch stärker als dasjenige auf dem Papier, in eine Vielzahl anderer Tätigkeiten umkippen.

2. Abgrenzung zur Marginalie: Die Unterschiede zwischen Gekritzel und Marginalie bestehen erstens darin, dass sich die Marginalie ihrem Namen entsprechend auf den Rand einer Seite beschränkt, während Kritzeln überall auf dem Papier geschehen und sich auch über den Text ausbreiten kann. Zweitens wird unter Marginalie meist eine Anmerkung oder ein Kommentar verstanden, während Kritzeln hier als nicht-schriftlich aufgefasst wird.

09. 04. 15 /// L.B.

drauflosschreiben

↓ drauflosschreiben ↓ 

Drauflosschreiben heißt, Intentionen und Erwartungen bezüglich Inhalt und Form des zu schreibenden Textes weitestgehend abzulegen, nicht reflektierend abzuwägen und auszuwählen, was aufgeschrieben wird, und somit den Text bereits vor der Niederschrift an das anzupassen, was er zu sein hat. Es geht vielmehr darum, Einfällen, Ideen, Fantasien und Gedanken auf dem Papier Platz zu bieten. Die Bewertungskriterien, die beim Schreiben üblicherweise explizit und oder implizit an alle Einfälle herangetragen werden, werden im Drauflosschreiben ausgeblendet. Das zu Schreibende wird so nahe wie möglich an seiner gedanklichen Ursprungsform niedergeschrieben, wodurch die Offenheit dessen, was auf dem Blatt entsteht, aufrechterhalten wird und im Schreiben nicht klar ist, wo es hinführt.

Das bereits Geschriebene kann dabei zu weiteren Einfällen führen und somit zum fließenden Fortgang des Schreibprozesses beitragen. Angestrebt wird nämlich, dass dieser möglichst reibungslos verläuft, dass die aufblitzenden Gedanken gleitend aufs Papier übertragen werden – mit möglichst wenigen Momenten des Innehaltens beim Schreiben sowie im Denken. Drauflosschreiben ist der Versuch, aus dem Schreibprozess das in ihm enthaltene und mit ihm verwobene Lesen und Bewerten herauszulösen, jegliche Überarbeitungsprozesse vom Schreiben selbst abzutrennen, obwohl diese Trennung nie vollständig erfolgen kann, nur eine Annäherung an sie. So wie auch beim Brainstorming, bei dem ebenfalls alle Einfälle fern jeder Bewertung niedergeschrieben werden, ist das Produkt dieses Verfahrens eine Sammlung an Sprachmaterial in weitestgehend unsortierter und ‚ursprünglicher‘ Form.

Es können zwei Arten des Drauflosschreibens unterschieden werden. Eine hat ebendiese Unstrukturiertheit, (Bedeutungs-)Offenheit, augenscheinliche Vorläufigkeit und die darin angelegte Potenzialität als Ziel. Der Text wird dazu genauso belassen, wie er niedergeschrieben wurde. Die andere hingegen dient der Herstellung von schriftlichem Rohmaterial, von sprachlich-gedanklichen Bausteinen, die auf verschiedene Weisen verwertet und weiterverarbeitet werden können. Die Absichtslosigkeit ist in den anknüpfenden Verfahren – wie etwa streichen, umstellen, ergänzen etc. – wieder aufgehoben.

Hinter dem Drauflosschreiben können verschiedene Motivationsformen stehen. Eine besteht darin, eine alles überrollende Gedankenflut festhalten zu wollen, und äußert sich als Wettkampf gegen die eigene Hand, wenn ein neuer Einfall schon da ist, aber der vorhergehende noch nicht (oder noch nicht vollständig) zu Papier gebracht wurde. Die gegenteilige Motivationsform besteht im Versuch, eine Schreibblockade zu durchbrechen, welche immer mit Ansprüchen und Erwartungen verbunden ist. Indem das Schreiben versuchsweise wertfrei und absichtslos erfolgt, wird der Weg aufs Papier bestenfalls für alle Gedanken frei und die lähmende Leere somit aufgehoben.

Das poetische Potenzial des Drauflosschreibens besteht in der Aufrechterhaltung der Offenheit im Schreiben, welche Unerwartetes, Ungewöhnliches, Innovatives zutage treten lassen kann. Im Gegensatz zum strukturierten, geplanten Schreibprozess wird das Schreiben für Unvorhersehbares geöffnet und kann somit neue Einsichten liefern, helfen, das Denken zu strukturieren, zu verknüpfen und das Gedachte neu, anders oder weiter zu denken. Dadurch kann ein Schreibprozess angekurbelt und Anstoß für Texte gegeben werden, die sich vom ursprünglichen Rohmaterial weit entfernen können. Das poetische Potenzial dieses Verfahrens liegt folglich in dessen Möglichkeit, im Denken sowie im Schreiben als Katalysator zu wirken.

25. 11. 14 /// Laura Basso

→ Wegmarken ←

D. als unwillkürliche poetische Inspiration („nachtwandlerisches Dichten“): Johann Wolfgang von Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (1833) /// D. als Teil eines ausführlich geplanten Schreibprozesses: um alle Ideen (auch zur Planung) festzuhalten,  wie bei Gustave Flaubert, Hérodias (1877), oder in welchem die Zielgerichtetheit im Schreiben selbst bewusst wieder abgelegt wird, wie bei Hans Boesch, Der Kiosk (1978), oder Émile Zola /// D., um anschließend zu reduzieren: z.B. bei Samuel Beckett, Heinrich Heine /// D. und nachträgliches Gliedern und Ordnen: z.B. bei Claude Simon /// D. als wiederholtes Verfahren: bei Friedrich Glauser, bei dem vieles direkt im Abfall landet: der Leidsucher (1917/1919); oder bei Friedrich Dürrenmatt, der immer wieder von Neuem korrigiert, umschreibt: Stoffe [Stoffe I–III] (1981), Labyrinth. Stoffe I–III (1990), Turmbau. Stoffe IV–IX (1990) /// D. aus einer Selbstvergessenheit beim Kritzeln heraus: Robert Walser, Geschwister Tanner (1907), Mikrogramme /// D. im Dadaismus, um dem Zufall und dem Unsinn Raum zu lassen: Tristan Tzara, Sept manifestes dada (1924) /// D. zur Sichtbarmachung des Unbewussten im Surrealismus (écriture automatique): André Breton und Philippe Soupault, Les Champs magnétiques (1921), André Breton, Erstes Manifest des Surrealismus (1924) /// D. als fortwährender Schreibfluss: z.B. bei Elias Canetti (Aufzeichnungen, Tagebücher), Franz Kafka (Tagebücher, Oktavhefte), Georg Heym (Tagebücher, Traumaufzeichnungen), Marcel Proust (Cahiers), Paul Valéry (Cahiers) /// ‚Drauflosreden‘: Heinrich von Kleist, Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden (1805) /// ‚Drauflosmalen‘: z.B. bei Georges Braque, Mon tableau (1959)

25. 11. 14 /// L.B.

← Forschungsliteratur →

Herman Burger, „Die allmähliche Verfassung der Idee beim Schreiben. Frankfurter Poetik-Vorlesung“, Frankfurt am Main 1968 /// Almuth Grésillon, „Über die allmähliche Verfertigung von Texten beim Schreiben“, in: Wolfgang Raible (Hrsg.), „Kulturelle Perspektiven auf Schrift und Schreibprozesse“, Tübingen 1995, S. 1-36 /// Louis Hay, „Die dritte Dimension der Literatur. Notizen zu einer critique génétique“, in: Poetica 16 (1984), S. 307-323 /// Klaus Hurlebusch, „Den Autor besser verstehen: aus seiner Arbeitsweise. Prolegomenon zu einer Hermeneutik textgenetischen Schreibens“, in: Hans Zeller und Gunter Martens (Hrsg.): „Textgenetische Edition“, Tübingen 1998, S. 7-51 /// Sylvie Molitor-Lübbert, „Schreiben und Kognition“, in: Hans-Peter Krings, Gerd Antos (Hrsg.), „Textproduktion. Ein interdisziplinärer Forschungsüberblick“, Tübingen 1989, S. 278-296 /// Hubert Thürig, Corinna Jäger-Trees und Michael Schläfli (Hrsg.): „Anfangen zu schreiben. Ein kardinales Moment von Textgenese und Schreibprozess im literarischen Archiv des 20. Jahrhunderts“, München 2009 /// Sandro Zanetti, „Techniken des Einfalls und der Niederschrift. Schreibkonzepte und Schreibpraktiken im Dadaismus und im Surrealismus“, in: Davide Giuriato, Martin Stingelin und Sandro Zanetti (Hrsg.), „SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR: VON EISEN“. Schreibszenen im Zeitalter der Typoskripte, München 2005, S. 205‑234

25. 11. 14 /// L.B.

↑ Postskriptum ↑

Louis Hay hat 1984 eine Unterscheidung zwischen zwei gegensätzlichen Schreibtypen vorgenommen: der „programmierte“, planorientierte und der „immanente“, prozessorientierte Schreiber (der drauflosschreibt). Es lassen sich verschiedene Beispiele von Autoren finden, die unabhängig von der jeweiligen Epoche seit der Klassik einem dieser beiden Typen zugeordnet werden können. Zwischenformen werden aber von Hay nicht ausgeschlossen. Almuth Grésillon hat 1995 neben dem Kriterium „Planung – keine Planung“ zusätzlich unterschieden, ob die Tätigkeit auf dem Papier oder im Kopf geschieht, woraus sich drei unterschiedliche Schreibtypen ergeben. Drauflosschreiben als nicht geplantes Schreiben direkt auf dem Papier wird von Grésillon auch als Bottom-up Schreibprozess bezeichnet. Klaus Hurlebusch hat 1998 ähnlich wie Hay eine Unterscheidung in werkgenetische und psychogenetische Schreibprozesse vorgenommen, die auf einer Zweigeteiltheit des Autors fußt, Lesender und Schreibender zugleich zu sein. Beim Drauflosschreiben, das mit dem psychogenetischen Schreibprozess gleichzusetzen ist, steht die Produktivität, das ‚sich selbst befruchtende‘ Schreiben im Vordergrund. Im Gegensatz dazu steht das werkgenetische Schreiben, bei dem Vorgedachtes schriftlich reproduziert wird und in welches der Autor stärker als Lesender involviert ist. Hubert Thüring hat 2009 dagegen eine breitere Klassifikation vorgenommen. Er unterscheidet sechs verschiedene Schreibtypen, von denen ein Typus dem Drauflosschreiben entspricht (Typ 5). Bei den anderen Typen ist das Drauflosschreiben jeweils als Teilprozess denkbar.

25. 11. 14 /// L.B.

Ironie

↓ Ironie ↓

Im rhetorischen Kontext gilt die Ironie als das sprachliche Vermögen, das Gegenteil des Gesagten zu meinen und damit die eigene Position hinter einer Maske zu verbergen oder die Position eines Gegners ad absurdum zu führen. Im Kontext des literarischen Schreibens aber gilt die Ironie seit dem späten 18. Jahrhundert als grundlegendes Prinzip literarischer Texte, mit dem diese der Eindeutigkeit enthoben und einem nicht kontrollierbaren Spiel der Vieldeutigkeiten überlassen werden. Aus diesem Prinzip heraus werden von verschiedenen Autoren moderne und postmoderne Schreibprojekte entwickelt, die über die ironische Auseinandersetzung mit einer zur Einseitigkeit und Einstimmigkeit nötigenden Gegenwart auf die unbehaftbare und verantwortungslose Dynamik der Literatur setzen.

01. 03. 09 /// Stephan Porombka

 

→ Überblick ←

Ironie wird in literaturwissenschaftlichen Lexika traditionell als „uneigentlicher Ausdruck des Gemeinten durch sein Gegenteil“ bezeichnet (Burdorf 2007, 360). In Handbüchern zur literarischen Rhetorik wird sie als „Ersatz des gemeinten Gedankens durch einen anderen Gedanken“ definiert, „der zum gemeinten Gedanken im Gegensatzverhältnis steht, also dem Gedanken des Parteigegners entspricht“ (Lausberg 1999, §426). Weil sich Ironie folgerichtig in strategischer Absicht der einsinnigen Mitteilung verweigert, ist sie – genau wie der Ironiker als Person – seit der Antike denen suspekt, die auf Offenheit, Klarheit, Verständlichkeit und Direktheit Wert legen. Mit ironischen Strategien wird auf spielerische Weise ein eigener Standpunkt verborgen (dissimulatio) oder der Standpunkt des Gegners übernommen (simulatio). Der Ironiker erscheint in beiden Fällen als kommunikativ überlegener Akteur, der auf souveräne Weise mit der Widersprüchlichkeit von Gesagtem und Gemeintem spielt und Hörer oder Leser dazu zwingt, seine Spielregeln zu erraten, wenn sie das Mitgeteilte nicht falsch verstehen wollen. Als exemplarisch dissimulierender Ironiker gilt der Sokrates der Dialoge Platons: Er stellt sich in pädagogisch-didaktischer Absicht naiv, um seinem Gegenüber über das Gespräch zu helfen, selbst zu einer Einsicht zu kommen. Als exemplarisch simulierender Ironiker gilt ein Satiriker wie Jonathan Swift, der in Reaktion auf die durch die englische Politik verursachte Armut in Irland in einem Essay gefordert hat, die Iren sollten ihre eigenen Kinder essen.

Ironie wäre aber keine Ironie, wenn nicht sowohl die dissimulierenden als auch die simulierenden Ironiker dem Hörer oder Leser Signale geben würden, dass sie ironisch sprechen. Diese Signale sollen deutlich machen, dass das Gesagte zwar das Gesagte, aber eben nicht das Gemeinte ist. Zu diesen Signalen gehören die Über- oder Untertreibung, der Einsatz mehr oder weniger offensichtlicher Widersprüche, Brüche oder stilistischer Unangemessenheiten. Diese können allerdings in ganz unterschiedlichen Intensitäten eingesetzt werden – und geschulte Ironiker verstehen es, mit diesen Intensitäten zu spielen. So spannt sich das Spektrum der Ironie von der bissigen Satire (die durch starke Übertreibungen in keinem Moment Zweifel daran lässt, dass das Gesagte nicht dem Gemeinten entspricht) bis hin zu einer nur nebenbei platzierten feinen ironischen Nuancierung (die den Hörer oder Leser allenfalls so leicht irritiert, dass für einen kurzen Moment nicht klar ist, ob das, was gerade gesagt wurde, so zu verstehen ist, wie es gesagt worden ist).

Fragt man aber nach der Bedeutung der Ironie für das literarische Schreiben, so geht sie weit über diese rhetorischen Funktionen hinaus. Während im Regelwerk der Rhetorik der Einsatz von Ironie als etwas grundsätzlich Kontrollierbares verstanden wird, spielt die literarische Ironie mit dem Unkontrollierbaren. Hier wird der eine Gedanke nicht bloß durch einen anderen ersetzt, der im Gegensatzverhältnis zu ihm steht. Signalisiert wird vielmehr, dass irgendetwas anderes gemeint ist, ohne dass gesagt werden könnte, was dieses Andere eigentlich ist. Das ironische Schreiben ist dementsprechend eines, das jedes Wort, jeden Satz, jeden Vers und schließlich den ganzen Text als etwas entstehen lässt, das nicht mit dem, wofür es zu stehen scheint, zu verwechseln ist. Es immer als etwas anderes zu verstehen ist, ohne aber dieses andere je zu sein. Und das heißt: Es ist genau das, was moderne Literatur im Kern definiert. Denn simuliert oder dissimuliert wird hier nicht mehr, um etwas Bestimmtes hinter einer Maske zu verbergen und gegebenenfalls hervorzuholen. Der Text selbst wird zu einer ironischen Simulation oder Dissimulation, mit der nichts verborgen wird – allenfalls etwas, das wieder simuliert oder dissimuliert ist.

Der Wechsel von rhetorischer auf literarische Ironie vollzieht sich um 1800 in unmittelbarer Verbindung mit der Ablösung alteuropäischer Literaturbegriffe. Als exemplarisch literarisierender Ironiker gilt in diesem Zusammenhang Friedrich Schlegel, der nicht nur einen ironischen Roman geschrieben hat (Lucinde, 1799), sondern ebenso in Essays und einer Vielzahl von Aphorismen eine unsystematische Theorie der literarischen Ironie durch ständige Anwendung ironischer Verfahren entworfen hat. Dieser Theorie liegt die Idee zugrunde, dass das Reale und das Ideale in der Gegenwart auseinander getreten sind, aber durch ironische Verfahrensweisen, die Getrenntes miteinander ins Spiel bringen, auf spielerische Weise verbunden werden können. Ironie wird auf diese Weise zu dem produktiven Verfahren schlechthin, über das sich der Vorschein einer Versöhnung des Getrennten vorführen und erfahrbar machen lässt, ohne sich aber tatsächlich zu verwirklichen. „Ironie“, heißt es in Schlegels 48.Lyceums-Fragment, „ist die Form des Paradoxen.“ Und als solches, schreibt Schlegel im 108. Fragment, „enthält und erregt [sie] ein Gefühl von dem unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten, der Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mitteilung.“

Der andere exemplarisch literarisierende Ironiker ist Friedrich Nietzsche, der die unsystematischen Denk- und Schreibweisen der Frühromantik radikal weiterentwickelt. Er experimentiert und operiert mit logisch-widersprüchlichen Strukturen, um einerseits die Ideologien der zeitgenössischen Kultur zu entlarven und andererseits die Grundlosigkeit, Haltlosigkeit und Unhaltbarkeit jedes Denkens, Sprechens und Schreibens in Szene zu setzen, aus der heraus man sich allerdings – wenn man nur radikal ironisch verfährt – selbst entwerfen kann bzw. selbst entwerfen muss: und zwar mit derselben Geste, die dem Schaffen eines Kunstwerks zugrunde liegt, das nur den Grund und den Halt kennt, den es aus sich selbst im Prozess der Entstehung begründet.

Schlegels und Nietzsches ästhetische Theorien der Ironie werden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Grundlage für die Produktion und das Verständnis von Romanen: Diese gelten als strukturell ironisch, wenn sie sich mit der Brüchigkeit bzw. dem Zerbrochensein der Welt auseinandersetzen, aber trotzdem noch zum Schein ungebrochen erzählen. Auch werden Schlegels und Nietzsches Theorien vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Kontext poststrukturalistischer Theoreme zum mehr oder weniger geheimen Energiezentrum für sprachtheoretische Überlegungen. Der in der Ironie aufgelöste Zusammenhang von Gesagtem und Gemeintem wird hier mit dem Fehlen eines festen Zusammenhangs von Zeichen und Bezeichnetem zusammengebracht. Jetzt erscheint sogar die Sprache selbst als etwas von Grund auf Ironisches: Strukturell ist sie nicht darauf angelegt, etwas Bestimmtes zu transportieren oder auf etwas Bestimmtes zu verweisen. Verwiesen wird stattdessen immer auf etwas anderes, das selbst aber wiederum nur auf etwas anderes verweist.

Ironisches Schreiben ist sich dieser Tatsache bewusst. Statt sich authentisch zu geben und zur Wirklichkeit durchdringen zu wollen, zielt es auf die Inszenierung von (endlosen) Verweisspielen. Wenn die Ironie im Kontext der Rhetorik als „uneigentlicher Ausdruck des Gemeinten durch sein Gegenteil“ gilt, dann macht das ironische Schreiben der Gegenwart vor allem die Uneigentlichkeit zu seiner Sache – wobei es sich zugleich auf ganz unmelancholische Weise von der Idee verabschiedet, dass man sich das Eigentliche doch noch irgendwie erschreiben könnte. Es ist in diesem Sinn nur konsequent, wenn zum Ende des 20. Jahrhunderts der „liberale Ironiker“ (Richard Rorty 1992), der ein lockeres Verhältnis zu anderen und ein undogmatisches Verhältnis zu den eigenen Einstellungen hat, als Grundlage für adäquate postmoderne Lebensentwürfe empfohlen worden ist. Für Autoren gilt diese Empfehlung allemal.

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← Beispiele →

Für die Liste exemplarischer Ironiker, die auf exemplarische Weise ironisch operieren, sind bereits wichtige Namen und Texte genannt: Platon (Theaitetos), Swift (Satiren), Schlegel (Lucinde,Fragmente), Nietzsche (Fröhliche WissenschaftEcce Homo).

1. Auf die Liste gehört aber auch Heinrich Heine. Sein gesamtes Werk wird von ironisierenden Verfahrensweisen in Bewegung gehalten. So hat er sich auf ironische Weise mit den Theorien und Schreibweisen der Romantiker auseinandergesetzt: Er hat sie sich thematisch und formal angeeignet, aber zugleich konsequent gegen sie polemisiert (Die romantische Schule, 1835). Diese Widersprüchlichkeit von Identifikation mit und Differenz zu traditionellen Denk- und Schreibweisen nutzt Heine zur Entwicklung eines eigenen Schreibprogramms, das aus einer mit Frechheit und Verve vorgeführten Unverantwortlichkeit seine produktive und utopische Energie zieht. Zeitgenossen, aber auch spätere Kritiker, haben das bei Heine als Charakterlosigkeit, Unverantwortlichkeit und Leichtfertigkeit verstanden, die sich allem entzieht, nur um sich selbst – auf Kosten anderer – umso wirkungsvoller in Szene zu setzen. Genau das aber ist das erklärte Ziel des Heine’schen Projekts: Er definiert politische und ästhetische Verantwortung von der Unverantwortlichkeit her. Die pointiert kritische und polemische Auseinandersetzung mit der Kultur der Gegenwart wird dabei zur Pflichtübung (Deutschland. Ein Wintermärchen, 1844). Erst die Thematisierung der eigenen Verstrickung mit dieser Gegenwart, macht es Heine möglich, sich in seinen literarischen und feuilletonistischen Texten über sie hinwegzusetzen und damit die Geste des Hinwegsetzens vorzuführen (Reisebilder, 1828-1831;Lutetia, 1854/55). Ironisch ist sein Werk damit gleich zweifach: indem es sich ironisch-entlarvend, zuweilen polemisch und satirisch, immer aber witzig mit der Kultur der Gegenwart auseinandersetzt und indem es sich innerhalb der Kultur der Gegenwart selbst als Verweisspiel inszeniert, das sich auf nichts festlegen lassen will und in diesem Nicht-Festgelegt-Sein seine eigentliche utopische Bestimmung sieht.

2. Auf die Liste exemplarischer Ironiker, deren Werk von ironischen Strategien dynamisiert wird, gehört auch Thomas Mann. Sein Ironiekonzept ist weitaus deutlicher auf die Herstellung einer „Haltung“ angelegt, als das bei Heine der Fall ist. Für Mann gilt Ironie als Möglichkeit, sich vor allen Formen des Extremismus und Radikalismus zu schützen. Weil durch den Einsatz von Ironie gleich mehrerlei präsent gehalten wird, bewegt er sich mit ihr schwebend, balancierend, vermittelnd zwischen den Polen, die im Mann’schen Schreibprogramm als „Geist“ und „Leben“ etikettiert sind. In Manns poetologischer Selbstreflexion entspricht diese Mittlerstellung der gesellschaftlichen Stellung des Bürgertums (zwischen Ober- und Unterschicht) und damit auch der Stellung Thomas Manns als Bürger. Wenn Mann als Bürger dann auch noch zugleich Künstler ist, also einer unbürgerlichen Berufung folgt, ist er in der Mittlerstellung selbst wiederum mit zwei Extremen konfrontiert, die er ironisch zu balancieren hat. Mann entwirft und erfährt sich als Bürger-Künstler, dem diese Vermittlungsarbeit nicht ohne weiteres gelingt, sondern der auf exemplarische Weise den Gefahren der politischen, moralischen und ästhetischen Vereinseitigung ausgeliefert ist. Dem Mann’schen Verständnis nach dient die Arbeit am Werk dazu, diese Gefährdungen zu überwinden.

Eine so gelagerte Ironisierungsarbeit vollzieht sich bei Mann auf drei Ebenen: Auf der ersten Ebene entwirft er sich (bürgerliche) Charaktere als Helden, die durch immer bedrängendere Forderungen des Lebens, aber auch – wie im Falle Thomas Buddenbrooks – durch den Einfluss philosophischer Lektüren aus dem Gleichgewicht geraten, Schlagseite bekommen und langsam untergehen (oder doch zumindest zeitweilig die Todeszonen betreten). Auf der zweiten Ebene erzählt Thomas Mann diese Gefährdungsgeschichten in einem Ton, den er selbst als humoristisch ausgewiesen hat, dem aber eigentlich die Geste der Ironie zugrunde liegt: Die Figuren und das, was ihnen widerfährt, wird vom Erzähler zwar in seiner Schicksalhaftigkeit vorgeführt, aber fortlaufend durch Kontingenzsignale unterminiert. Dass die Figuren so sind, wie sie sind, erscheint in den Texten Thomas Manns eben nicht nur schicksalhaft. Es ist immer zugleich durch eine mehr oder weniger fragwürdige Entscheidung (oder nicht getroffene Entscheidung) bestimmt. Auf der dritten Ebene entwirft Thomas Mann schließlich die Arbeit am Werk und die Bedeutung des Werks als grundironisch: Jeder Text ist einerseits dem Nichts (oder dem faszinierendem Sog des Nichts, von dem man sich als Bürger und als Künstler gleich doppelt angezogen fühlt) abgetrotzt. Andererseits jedoch bedeutet künstlerische Arbeit immer auch, diesem Sog ein wenig nachzugeben, ohne sich aber von ihm vollends fortsaugen zu lassen.

Es ist Thomas Manns Roman Der Zauberberg (1924), an dem sich die Ironiearbeit auf allen drei Ebenen am deutlichsten zeigt. Sie lässt sich sogar noch um eine vierte Ebene ergänzen: Und zwar wenn man parallel zu diesem Roman nicht nur die Erzählung Der Tod in Venedig (1912) liest (von der Thomas Mann in einem – durchaus ironischen – Kommentar behauptet hat, Der Zauberberg sei ursprünglich als ihr humoristisches Gegenstück entworfen worden), sondern auch das Kapitel „Ironie und Radikalismus“ aus der während des ersten Weltkriegs verfassten Kampfschrift Betrachtungen eines Unpolitischen(1918). Dann lässt sich erkennen, dass das ironisierende Verfahren bei Thomas Mann immer auch eins der fortgesetzten (und sowohl in Tagebüchern als auch in öffentlichen poetologischen Analysen der eigenen Arbeit ausführlich gepflegten) Selbstbeobachtung ist. Sie dynamisiert den Werkprozess über einzelne Texte hinaus. Ermöglicht werden durch sie Re-Lektüren, die an den eigenen Texten sowohl das Schicksalhafte als auch das Kontingente begreifen und dabei die Kontingenzen nutzen, um sie politisch und ästhetisch durch Variation weiterzuentwickeln.

3. Auf die Liste der exemplarischen Ironiker, deren literarisches Schreiben von der Ironie dynamisiert wird, gehört auch Thomas Bernhard. Statt wie Heine die Ironie zur scheinbaren Realisierung einer ästhetisch-politischen Utopie einzusetzen oder sie wie Thomas Mann zur Balancierung von Extremen zu nutzen, dient sie bei Bernhard dazu, jeden kommunikativen Außenbezug des literarischen Textes aufzulösen. Ironie wird hier zur Totalkategorie. Die Formel für diese Art des Schreibens hat Bernhard einer seiner Erzählungen in den Titel geschrieben: „Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?“ (1967). Zwar wird zum Ende der Erzählung die Antwort von einer der beiden Figuren gegeben, die sich über den Zustand des Theaters und damit zugleich über den Zustand der Welt unterhalten, doch weiß man als Leser nicht, ob es sich dabei um eine ironische Verwendung einer metaphorischen Ausdrucksweise handelt. Immerhin hat doch dieselbe Figur mit offensichtlicher Übertreibung gerade zuvor konstatiert, „[d]ie ganze Welt ist eine Jurisprudenz. Die ganze Welt ist ein Zuchthaus“. Dass diese Sätze von jemandem gesagt werden, der gerade erst über zwanzig Jahre im Gefängnis gesessen hat, und jetzt nach verbüßter Haft in den Kleidern seiner angeblich nach einem Selbstmordversuch verstorbenen Mutter auf der Straße herumläuft, lässt seine Aussagen nicht unbedingt belastbarer erscheinen. Zudem unterhält sich dieser Mann mit dem Ich-Erzähler, einem jungen Wissenschaftler, der zwar selbst ein Theaterhasser ist, vom Theater aber dennoch nicht loskommt, sich deshalb nach längerer Pause auf den Weg ins Theater begibt, sich dann jedoch nicht entschließen kann hineinzugehen und in dieser Entschlusslosigkeit auf eben jenen Mann trifft – „Ein Verrückter? Dachte ich“ –, der ihm erzählt, dass er bereits vor achtundvierzig Tagen einen ebenso jungen Mann wie den Ich-Erzähler an selber Stelle um dieselbe Uhrzeit getroffen und mit ihm dasselbe Gespräch geführt habe. Ungelöst bleibt damit nicht nur die Frage, ob im Theater eine Komödie oder eine Tragödie gespielt wird; ungelöst bleibt auch die Frage, ob es sich bei dem, wovon erzählt wird, um eine Komödie oder Tragödie handelt. Man darf ahnen, dass es eins von beiden ist – und man weiß: wenn es eins von beiden ist, dann ist es das auf fatal totale Weise. Ironie wird hier zum unauflösbaren Strukturprinzip.

Thomas Bernhard hat dieses Prinzip auf radikale Weise zur Grundlage seines Schreibens gemacht. Die phantastische Einfärbung der kleinen Erzählung „Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?“ hat er in seinen Folgetexten zurück genommen. Damit verlieren sie an Unheimlichkeit und Hintergründigkeit und werden ‚flacher‘ entworfen: Abgespult werden in der Regel strukturell endlose Monologe von Ich-Erzählern, die zwar immer auf mehreren Ebenen und immer verschachtelt, aber doch ungebremst linear laufen. Dabei werden sie zwanghaft von einer Verachtung der Gesellschaft (und damit allen Formen der Geselligkeit) angetrieben (Die Ursache, 1975). Das ist der Grund dafür, dass man Bernhard auch immer als einen Satiriker verstehen wollte, der literarische Masken nutzt, um die österreichische, noch genauer die wienerische Gegenwartskultur, mit all ihren Institutionen und Akteuren anzugreifen. Die Zeitgenossen haben seine Texte jedenfalls immer auch daraufhin gelesen (oder von Staatsanwälten lesen lassen), welche lebenden Personen Bernhard mit leichter Verfremdung bloßstellt (Holzfällen, 1984). Doch operiert der Autor nicht als Satiriker. Er ist ein Ironiker, der seine Texte nicht (allein) schreibt, um sich an bestimmten Personen zu rächen. Weil er den Texten durch ihre strenge Monologisierung und Reduzierung auf eine zwanghafte Perspektive die Tiefe nimmt und sie ‚flach‘ werden lässt, nimmt er ihnen jeden klaren Verweischarakter: Sie lassen sich nicht in das übersetzen, was sie genau meinen; sie schweben in einem Zustand, in dem man allenfalls meinen könnte, dass sie etwas Bestimmtes meinen, ohne aber dieses Bestimmte jemals auch nur annähernd bestimmen zu können. Genau damit aber radikalisiert Bernhard das ironische Verfahren: Genutzt wird es bei ihm, um Bedeutungsebenen zwar präsent zu halten, sie aber zugleich vollständig zu negieren und auszulöschen.

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↑ Praxis ↑

Folgt man dem so wirkungsmächtigen romantischen Entwurf, der Ironie zum literarischen Prinzip par excellence erklärt, indem er sie mit Literatur gleichsetzt, dann ist es schwierig, für den Umgang mit Ironie in der Schreibpraxis zu raten – weil es dann geradezu unmöglich ist, sie zu vermeiden! Es gibt aus dieser Perspektive nur die Möglichkeit, sie schreibend so zu reflektieren (und das heißt: sein eigenes Schreiben und das Schreiben anderer so zu beobachten), dass das unvermeidliche Spiel der Ironie erkennbar und vom Erkennen zugleich vorangetrieben wird.

Das aber heißt zuallererst: schreibend nicht vom Prinzip der Kontrolle auszugehen, sondern auf das Unkontrollierbare der Sprache zu setzen. Ins Spiel der Ironie einzutreten bedeutet, all das, was man schreibt, nicht auf eine bestimmte Bedeutung hin zu formulieren, sondern in seine Vieldeutigkeit zu treiben. Interessant sind in diesem Zusammenhang Texte, die man im Moment des Schreibens nicht voll im Griff hat, die ihre Eigenbewegung entfalten und denen man in ihrer Bewegung folgt. Der Effekt eines ironisch verfassten Textes wird sein, dass er beim Wiederlesen – wenn es ein ironisches Wiederlesen ist – Bezüge preisgibt, die man nicht eingeplant und eingebaut hat und die man selbst auch gar nicht hätte einplanen oder einbauen können. Wenn Friedrich Schlegel in einem Athenäums-Fragment festgestellt hat, „Ironie ist klares Bewußtsein der ewigen Agilität, des unendlich vollen Chaos“, dann mag das erst einmal esoterisch klingen. Für die Praxis des literarischen Schreibens aber heißt das, sich schreibend und durch die Beobachtung des Schreibens dieses Bewusstsein zu erarbeiten: um ein Gefühlerstens für die eigentümliche Dynamik des Geschriebenen zu bekommen und zweitens für die Fülle, die sich in dem Durcheinander ergibt, das man ironisch schreibend anrichtet. Das angemessene Medium dafür ist das Notiz- oder Skizzenbuch, in dem auf ironische Weise das Vorläufige festgehalten und deshalb als etwas Fortlaufendes beobachtet werden kann.

Ein Blick auf die literarische Praxis jener Autoren, die mit dem Prinzip literarischer Ironie arbeiten, zeigt allerdings, dass sie zwar auf das Unkontrollierbare setzen, dies aber letztlich auf eine kontrollierte, zielgerichtete Weise. Das ironische Schreiben wird planmäßig zur Auseinandersetzung mit einer Gegenwart eingesetzt, die zur Einseitigkeit und Einstimmigkeit nötigt. Ironisiert wird diese Gegenwart, indem man sich von der Verantwortung befreit, ihren Anforderungen gerecht werden zu müssen. Ironisches Schreiben ist in diesem Sinn verantwortungsloses Schreiben, mit dem man sich in der Auseinandersetzung mit der Gegenwart über die Gegenwart hinwegsetzt. Für die Einrichtung einer literarischen Praxis bedeutet das: Wenn das angemessene Medium für das ironische Schreiben das Notiz- oder Skizzenbuch ist, dann gilt es, genau hier das Material festzuhalten, das man aus der Beobachtung der Gegenwart zieht. Wann und wo immer Einseitigkeit und Einstimmigkeit gefordert wird, hat man bereits das Material an der Hand, mit dem man arbeiten kann, um es in Bewegung zu bringen. Aus diesem Material lassen sich Themen, Motive und Figuren entwickeln, an denen sich Einseitigkeiten und Einstimmigkeiten zeigen und die zugleich dem Unkontrollierten, Vielseitigen und Vielstimmigen ausgesetzt werden können.

Die wesentliche Arbeit besteht in der Nuancierung des ironischen Umgangs mit dem Material. Dieses lässt sich erstens parodieren, also möglichst genau kopieren, wobei grobe oder feine Kopierfehler eingebaut werden müssen, die dem Leser signalisieren, dass es sich hier nicht um eine Verdoppelung oder ein Plagiat, sondern um eine literarische Verschiebung handelt. Das Material lässt sich zweitenssatirisieren, also durch Anwendung der Übertreibung und Zuspitzung in seiner Einseitigkeit und Einstimmigkeit so vereinseitigen und überstimmen, dass es nicht mehr ernst genommen werden kann. Das Material kann aber drittens auch so lange spielerisch gedreht, gewendet und mit Komplexität angereichert werden, bis sich Einseitigkeiten und Einstimmigkeiten in etwas Unbestimmtes auflösen, das bloß noch einseitig und einstimmig aussehen will, ohne es aber konsequent durchhalten zu können. Schließlich kann es viertens als Material genommen und in neue Texte und Kontexte übersetzt werden, in denen das vermeintlich Einseitige und Einstimmige seinen Bezugspunkt ändert oder sogar völlig verliert.

Das alles heißt dann für die literarische Praxis: Man muss Material zur Geschichte der Einseitigkeit und Einstimmigkeit sammeln und mit ihm experimentieren, um einen spezifischen ironischen Zugriff zu entwickeln. Wenn man auch gegenüber sich selbst ironisch genug verfährt, dann weiß man, dass es genau um diese ständige Weiterentwicklung geht – eben um „ewige Agilität“.

01. 03. 09 /// S.P.

 

Literatur

Karl-Heinz Bohrer (Hg.), Sprachen der Ironie – Sprachen des Ernstes, Frankfurt a.M. 2000 /// Dieter Burdorf et al. (Hg.), Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, 3., vollst. neu bearb. Aufl., Stuttgart 2007 /// Heinrich Lausberg, Elemente der literarischen Rhetorik [1949], Stuttgart 1999 /// Georg Lukács, Theorie des Romans [1916], München 2000 /// Richard Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität [amer. 1989], Frankfurt a.M. 1992 /// Friedrich Schlegel, „Athenäums“-Fragmente und andere Schriften. Kritische und theoretische Schriften, Stuttgart 1998

01. 03. 09 /// S.P.

Intertextualität

↓ Intertextualität ↓

Intertextualität bezeichnet die Eigenschaft von Texten, auf andere Texte zu verweisen, untereinander in einem Verhältnis zu stehen oder ineinander verwoben zu sein. Diese Beziehungen können explizit markiert werden oder sind implizit vorhanden. Beim Schreiben stellt sich entsprechend die Frage, wie sehr man die Beziehungen eines Textes, an dem man arbeitet (Phänotext), zu anderen Texten, die diese Arbeit mitbestimmen (Genotexte), explizit machen möchte. Genotexte können dem Phänotext als Prätexte vorausgehen, als Subtexte zugrunde liegen oder schlicht als Kontexte mitgegeben sein. Die Frage, ob und wie die Beziehungen zwischen den bearbeiteten und den erarbeiteten Texten markiert oder nicht markiert werden, stellt sich im Schreibprozess immer wieder von neuem.

So können Zitate – die offensichtlichsten intertextuellen Versatzstücke in einem Text – in Anführungszeichen gesetzt und gegebenenfalls mit Quellenangabe versehen werden. Intertextualität ist in diesem Fall deutlich markiert. Intertextualität kann aber auch unmarkiert bleiben, woraus sich für die Lektüre andere Konsequenzen ergeben: Die Verweisstruktur bleibt entweder unentdeckt oder wird erst nach und nach erschlossen. Je nach Art und Grad der Markierung oder des Spiels damit können mögliche Wirkungsweisen eines Textes bereits beim Schreiben intendiert werden: Entdeckung von verwandten Problem- oder Phänomenkonstellationen, Legitimation des eigenen Zugriffs, Ironisierung der Vorlage, Provokation von Geheimwissen, Kontextualisierung der eigenen Arbeit etc. Die Grenze zum Plagiat wird dort überschritten, wo die Urheberschaft eines Textes einklagbar wird.

12. 04. 13 /// Sandro Zanetti

 

→ Überblick ←

Die am Ende des 18. Jh.s entstandene Geniekonzeption hatte lange Zeit den Blick dafür verstellt, dass Texte stets auf Wiederverwendungen von bereits bestehenden Texten oder Textelementen beruhen. Auf der Ebene der Schreibpraxis war dies hingegen immer schon bekannt. So ist der Cento, ein Gedicht, das im Wesentlichen aus einzelnen Versen bekannter Dichter zusammengesetzt ist (Flickengedicht), bereits in der Antike bekannt. Parodien und Polemiken wiederum setzen bereits als Gattungen eine intertextuelle Verweisstruktur voraus. Bis zum Barock, dem Zeitalter der Regelpoetiken, stellte sich die Frage nach der Originalität des eigenen Schreibens und somit tendenziell der Abwehr von Intertextualität noch nicht oder weniger dringlich, da Nachahmung und schließlich Verbesserung bereits vorhandener Vorlagen als Motivation und Legitimation literarischer Tätigkeit galten. Obwohl der demonstrative Einbezug intertextueller Elemente beim Schreiben gerne und zu Recht als Kennzeichen postmoderner Literatur bewertet wird, ist das Phänomen als solches also nicht neu.

Die Art und Weise, wie Intertextualität produziert, inszeniert und schließlich rezipiert wird, ändert sich hingegen fortlaufend. Diese Änderungen sind abhängig von den historischen und technischen Rahmenbedingungen der Textproduktion. So gehören Copy&Paste-Verfahren im Zeitalter digitalen Schreibens zum integralen Bestandteil von Textverarbeitungsprogrammen. Im Verbund mit der Masse an Texten, die online zugänglich sind, provoziert die reine Verfügbarkeit dieser Verfahren auch einen freieren Umgang mit bereits bestehenden Texten oder Textelementen. Urheberrechtsklagen werden gegebenenfalls als Mittel eingesetzt, diese Freiheit wieder einzugrenzen. Systematisch gesehen treten damit nicht nur zwei Textmodelle, sondern auch zwei Modelle von Autorschaft, die auf unterschiedlichen geschichtlichen Voraussetzungen beruhen, miteinander in Konflikt: Der Autor als Schöpfer geistigen Eigentums (18. Jh.) und der Autor als Sammler, Bastler und Arrangeur (20. Jh.).

Auf der Theorieebene wurde das Phänomen der Intertextualität erst zum Gegenstand methodologischer Auseinandersetzungen, als es auch jenseits von avancierter Theoriebildung nicht mehr selbstverständlich war, dass literarische Texte bedingungslos als originäre Schöpfungen selbstbewusster, autonom agierender und formulierender Autoren zu gelten haben. Die Präsenz technischer Reproduktionsmedien im Alltag (von analogen und digitalen Kopiertechniken in Text- und Bildverarbeitungsprozessen über Sampling-Methoden in der Musik bis hin zu Montagepraktiken im Film) hat zu dieser Skepsis beigetragen und den Blick auf die historischen Produktionsbedingungen von Texten verändert.

Geprägt wurde der Begriff der Intertextualität von Julia Kristeva, die ihn in ihrem Aufsatz „Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman“ von 1967 einführte und in Auseinandersetzung mit den Schriften Michail Bachtins zur Dialogizität gewann. Texte sollten nicht mehr klassisch hermeneutisch ‚aus sich‘ heraus erklärt werden, sondern transgressiv in und aus ihren Beziehungen zu anderen Texten, wobei dieMöglichkeit solcher Beziehungen zum bestimmenden Kennzeichen des nun erst wirkungsmächtig gewordenen Begriffs des Textes wurde: „jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle des Begriffs der Intersubjektivität tritt der Begriff der Intertextualität, und die poetische Sprache läßt sich zumindest als eine doppeltelesen“ (Kristeva 1967/1972, 348).

Die so als Ausweitung des Textbegriffs bejahte oder beklagte Orientierung an Beziehungen (und nicht an Einheiten, die ihrerseits wie Subjekte aus sich heraus verständlich sein sollten) folgte zumindest in der Anfangszeit der Intertextualitätstheorie einer politisch motivierten Programmatik. Kristeva ging es darum, ein Instrumentarium für die Analyse von Prozessen zu finden, die sich in der gesellschaftlichen und politischen „Widerrede“ (ebd., 346) innerhalb der insgesamt als textuell begriffenen Struktur einer Kultur vollziehen. Sie selbst erweiterte ihr methodisches Instrumentarium, indem sie es 1974 in ihrer Studie La révolution du language poétique psychoanalytisch reformulierte. Die von ihr eingeführte Unterscheidung von Phänotext und Genotext (Kristeva 1974/1978, 94-97) assoziierte sie mit (symbolisch) bewussten und (revolutionär) unbewussten Regungen und Prägungen im Sprachgebrauch. Erst mit Verspätung wurde die in Frankreich breit geführte Diskussion auch im deutschsprachigen Raum aufgenommen und kritisch fortgeführt. Hauptkritikpunkt an der französischen Diskussion bildete die Frage nach den Grenzen des Text- und somit auch des Intertextualitätsbegriffs. Die Frage, wie stark oder schwach Intertextualität in einem Text markiert sein muss, damit der Begriff trennscharf bleibt, wurde entsprechend ausführlich diskutiert (Broich/Pfister 1985).

Diese Diskussion wurde allerdings ganz und gar aus der Perspektive des Lesens formuliert. Aus produktionsästhetischer Perspektive ist hingegen die Frage nicht, ob Texte prinzipiell Intertexte sind oder welche Texte in einem Text nun wirklich als Intertexte gelten können und wie sie dann zu verstehen wären. Die Frage ist vielmehr, ob und wie man beim Schreiben an einem Text gezielt auf andere Texte zurückgreift, auf sie anspielt oder sie integriert, wie man die intertextuellen Bezüge im schließlich Geschriebenen darstellt oder ausblendet und welche Wirkung man sich vom eigenen Verfahren erhoffen kann.

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← Beispiele →

Ein aktiv betriebener Umgang mit anderen Texten im eigenen Schreiben setzt voraus, dass man der Lektüre anderer Texte zunächst einmal breiten Raum lässt. Ändert sich die Art und Weise, wie eine solche Lektüre betrieben und schließlich wiederum in die eigene Arbeit integriert wird, so ändert sich auch die intertextuelle Stoßrichtung und Logik des eigenen Schreibprojekts.

1. Affirmative Lektüren gestehen den verwendeten Prätexten ein hohes Maß an Integrität oder Bedeutung zu und versuchen den eigenen Text davon profitieren zu lassen. Bloßes Name-Dropping bezeichnet die unreflektierte Variante eines solchen Versuchs, sog. Gelehrtenprosa, wenn sie gelingt, die gediegene. Es gibt jedoch auch Schreibprojekte, die ihren Prätexten eine Kraft sui generiszugestehen, die nicht dazu bestimmt ist, das eigene Schreiben aufzuwerten, sondern die umgekehrt durchs eigene Schreiben erst zur Geltung gebracht oder gesteigert werden sollte. So setzen Schreibprojekte, die sich einem radikalisierten dokumentarischen Realismus verpflichtet sehen, gezielt auf die Aussagekraft des verwendeten Quellenmaterials. Georg Büchners Dantons Tod von 1835 etwa, ein frühes Beispiel literarischer Montagearbeit, besteht zu großen Teilen aus Zitaten, die Büchner Quellentexten zur Französischen Revolution entnahm. Die Verwendung dokumentarischer Materialien ist programmatisch darauf ausgerichtet, Realismuseffekte zu produzieren, die im Bereich des bloß Ästhetischen oder Literarischen nicht aufgehen. Entscheidender Moment im Produktionsprozess ist der Akt der Materialauswahl. Der Rückgriff auf die Quellentexte erfolgt schließlich affirmativ, um diese möglichst selbst sprechen zu lassen.

Eine vergleichbare Aufwertung der dokumentarischen Materialität betreibt Walter Benjamin in seinem Projekt einer Urgeschichte des 19. Jh.s, das er mit seiner Arbeit am Passagen-Werk in den 20er und 30er Jahren des 20. Jh.s aufnahm. Mit dem Vorsatz „Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen“, legte er den Grundstock für eine am Medium des Films orientierte Montagetechnik, die den Anteil des Autors auf die Funktion des Sammlers und Arrangeurs festlegt (Benjamin 1982, 574), um den Leser möglichst unvermittelt, schockhaft, mit dem dokumentarischen Material zu konfrontierten. Eine abgeschwächte Variante einer solchen Konfrontation findet sich in Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz von 1929, in dem der Versuch unternommen wird, durch den gezielten Einsatz von Zitaten aus dem städtischen Alltag Wahrnehmungsweisen des modernen Lebens literarisch zu inszenieren.

2. Subversive Lektüren, die unternommen werden, um das eigene Schreiben in einen Widerstreit mit vorangegangenen Schreibprojekten zu versetzen, lassen den eigenen Text als Schauplatz eines Kampfes erscheinen. Harold Bloom benennt in seiner Theorie der Einflußangst (Bloom 1973/1995) eine Reihe von Modi, durch die ein Schriftsteller sich gegenüber seinen (imaginären, symbolischen oder realen) poetischen ‚Vater‘-Figuren zur Wehr setzen kann, um seinen Text als eigenen durchsetzen zu können. So kann er beispielsweise den Vorgängertext an einer entscheidenden Stelle korrigieren, seine Leitbegriffe neu verwenden, seine Einzigartigkeit durch Wiederholungen und Variationen in Frage stellen oder durch Verballhornung der Lächerlichkeit preisgeben. Subversive Lektüren setzen also zunächst ebenfalls eine Affirmation der gelesenen Texte voraus, indem sie diese in einem ersten Schritt ernst nehmen, ja ihnen sogar so viel Gewicht verleihen, dass sie als Widerpart Kontur gewinnen können. Entscheidend ist auch hier das Moment der Auswahl, doch erfolgt sie nicht, um die Materialien möglichst selbst sprechen zu lassen, sondern um in einen erkennbaren Widerstreit mit den gelesenen Texten einzutreten.

So verfährt Elfriede Jelinek in ihrem Dramentext Wolken.Heim. von 1988 mit den darin zitierten Vorlagen äußerst aggressiv. Jelinek zitiert Ausschnitte aus Schriften Hölderlins, Hegels, Heideggers, Fichtes, Kleists sowie aus den Briefen der Roten Armee Fraktion. Die Zitate stehen ohne Anführungszeichen da und werden zudem verfremdet, indem sie als scheinbar endloser Monolog einer Wir-Stimme aneinandergefügt und durch irritierende Wiederholung in ihrem semantischen Leerlauf kenntlich gemacht werden. Es handelt sich um eine gezielte, verfremdende Arbeit mit Zitaten als Materialgrundlage für einen unheimlichen Chor aus Gespensterstimmen, deren nationalistische Ober- und Untertöne Jelinek aus dem Fundus des Materials hervorhebt. Durch diese Hervorhebung werden die zitierten Texte einander angeglichen, wobei das Verfahren durch die massiven stilistischen Interventionen darauf abzielt, beim Rezipienten einen Überdruss am Zitierten zu provozieren. Subversiv ist Wolken.Heim., weil die Vorlagen gegen ihre deklarierten Intentionen gelesen werden.

An Vladimir Sorokins Dramentext Dostoevskij Trip von 1997 lässt sich schließlich eine andere Form der Subversion beobachten, die darauf zielt, die Übermacht eines früheren Werkes zu brechen und zu konterkarieren. In Dostoevskij Trip lässt Sorokin die Protagonisten Drogen ausprobieren, mit denen man in die Textwelt und somit ins Interieur von Dostoevskijs Idiot eintreten kann. Die Zuschauer (bzw. die Leser) werden in diese Textwelt mit eingeführt. Sie finden sich schließlich ebenfalls in DostoevskijsIdiot wieder, den Sorokin bis auf kleine, aber entscheidende Abweichungen literarisch reproduziert und bis zum Kollaps führt. Sorokin zitiert mit diesem Verfahren bereits den Diskurs über Intertextualität und reliterarisiert ihn auf diese Weise.

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↑ Praxis ↑

Trifft man die Entscheidung, das eigene Schreiben offensiv im Kontext anderer Texte stattfinden zu lassen, dann muss dafür zuerst extensiv und intensiv gelesen werden. Es muss darüber hinaus erfinderisch gelesen werden, wenn das Verhältnis des eigenen Schreibprojekts zu einem vorangegangenen seinerseits als innovativ gelten soll.

Renate Lachmann nennt drei Modi, in denen die Auseinandersetzung mit anderen, früher geschriebenen Texten (Genotexten) in der Arbeit an einem neuen Text (Phänotext) stattfinden kann: Partizipation, Abwehr und Transformation: Der bereits vorhandene Text kann als gemeinsame Grundlage verstanden werden, er kann abgewehrt oder einer Veränderung unterzogen werden. Der jeweilige Schreibprozess wäre entsprechend als Weiter-, Wider- oder als Um-Schreiben zu charakterisieren (Lachmann 1990, 65).

Intertextualität muss sich dabei nicht auf das Verhältnis von literarischen (oder sonstigen) Texten zueinander beschränken, denkbar ist ebenso die Wiederverwendung eigener Texte beim Schreiben eines neuen Textes. Jede Arbeit an einem Text, die auf Entwürfe von eigener Hand zurückgreift, stellt einen Modus der Selbstrezeption dar. Greift man beim Schreiben auf Texte zurück, die aus dem Archiv der eigenen Werkstatt oder der eigenen Publikationen stammen, und kehren diese früheren eigenen Texte im neu Geschriebenen schließlich als Selbstzitate oder als Anspielungen wieder, so spricht man von Intratextualität.

Ein reflektierter literarischer Umgang mit Intertextualität setzt neben Kenntnissen im (länderspezifischen) Urheberrecht zunächst einmal die Einsicht in den Ausschnittcharakter des eigenen Zugriffs auf andere Texte voraus. Dabei empfiehlt es sich, ein Archiv mit Exzerpten und Kopien oder elektronisch gespeichertem Material anzulegen. Das Ordnungssystem der eigenen Archivierung kann bereits als Aufhänger für das weitere Verfahren genutzt werden. Im Fortgang der Arbeit bleibt dann aber zu berücksichtigen, dass Intertextualität nur dann interessant ist, wenn die Art und Weise, wieTexte verknüpft und arrangiert werden, ihrerseits einen literarischen Mehrwert verspricht. Entsprechend bedenkenswert ist die Fallhöhe bei Anbiederungen an große Namen und Werke der Literaturgeschichte, die etwa in der Absicht angeführt werden, den Wert der eigenen Arbeit zu steigern. Entscheidend bei allen Verfahren des Arrangierens von Texten ist der Umstand, dass die Wiederverwendung von Texten nicht nur den Blick auf die bereits bestehenden Texte verändert. Vor allem auch der gegenwärtig geschriebene Text erscheint in einem neuen Licht, das durch den zitierten Kontext mitbestimmt wird.

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Literatur

Roland Barthes, Vom Werk zum Text [frz. 1973], in: ders., Das Rauschen der Sprache. Kritische Essays I, Frankfurt a.M. 2006, 6472 /// Walter Benjamin, Das Passagen-Werk,, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. V.1, Frankfurt a.M. 1982 /// Harold Bloom, Einflußangst. Eine Theorie der Dichtung [amer. 1973], aus dem Amerikanischen von Angelika Schweikhart, Basel/Frankfurt a.M. 1995 /// Ulrich Broich und Manfred Pfister (Hg.),Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien, Tübingen 1985 /// Julia Kristeva,Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman [frz. 1967], aus dem Französischen von Michel Korinman und Heiner Stück, in: Jens Ihwe (Hg), Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven, Band 3: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft II, Frankfurt a.M. 1972, 345375; dies., Die Revolution der poetischen Sprache [frz. 1974], aus dem Französischen von Reinhold Werner, Frankfurt a.M. 1978 /// Renate Lachmann, Gedächtnis und Literatur. Studien zur Intertextualität in der russischen Moderne, Frankfurt a.M. 1990 /// Sandro Zanetti, Avantgardismus der Greise? Spätwerke und ihre Poetik, München 2012 (bes. S. 225-230 – daraus entnommen sind Teile des obigen Textes, insbesondere zu Kristeva)

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anagrammieren

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Anagrammieren ist ein buchstabenorientiertes Schreibverfahren, das sich der Kombinatorik des Alphabets bedient: Durch Neuanordnung des Buchstabenmaterials eines Wortes, Satzes oder Textes wird ein neuer Text produziert.

Anagrammatische Schreibtechniken erfordern einen Blick auf das geschriebene Wort, der eingeübte Lesepraktiken durchkreuzt: Das Schriftbild wird nicht wie üblich in seiner vorge­schriebenen Linearität abgetastet, um es in einzelne Bedeutungseinheiten zu übertragen, sondern auf sein Potential zur Permutation und Rekombination hin untersucht. So ist beim Anagrammieren unabhängig davon, ob es als hermeneutisches, kryptographisches oder poetisches Verfahren eingesetzt wird, die Textproduktion eng an Lektürepraktiken gebunden.

Anagrammieren als hermeneutisches Verfahren geht von einer sinnhaften Beziehung zwischen den Dingen und ihren Namen aus; häufigste Form ist das Anagrammieren von Eigennamen, das eine Zuschreibung von Charaktereigenschaften einer Person gegenüber zum Ziel hat. Als kryptographisches Verfahren eingesetzt, dient das Anagrammieren der Verschlüsselung von Eigennamen oder Texten. Anders als bei substituierenden (ersetzenden) kryptographischen Verfahren, wird es mit zunehmender Länge schwieriger bis unmöglich einen anagrammierten Text zu entschlüsseln. Um dennoch eine Dechiffrierung zu ermöglichen, können Zusatzregeln, die beispielsweise das semantische Feld des gesuchten Wortes eingrenzen, mitkommuniziert werden.

Als poetisches Verfahren kann Anagrammieren in zwei grundsätzliche Spielarten unterschieden werden: (1) Einzelne (unvollständige) Anagramme können über einen längeren Text verteilt Verweisungszusammenhänge erzeugen und dem Text eine zweite Bedeutungsschicht einzuschreiben; Anagrammieren wird damit zu einem Prinzip der Textorganisation. (2) Einer strengeren Regelhaftigkeit ist das Anagrammieren unterworfen, wenn es zur seriellen Permutation von begrenztem Ausgangsmaterial dient. Hier gilt die Regel, dass in jeder neuen Zeile das Buchstabenmaterial der Ausgangszeile restlos aufgehen muss. Verschiedene Hilfsmittel können dienlich sein, um dieses Auffinden von Wörtern in Wörtern zu erleichtern: Die Bandbreite reicht von einfachen Wortlisten, die mit Stift und Papier durch Ausstreichen der einzelnen Buchstaben des Ausgangsmaterials erzeugt werden, über das Arrangieren von beweglichen Lettern (bspw. Scrabble-Spielsteine) bis hin zu computerbasierten Anagramm­generatoren.

Trotz dieser technischen Hilfsmittel braucht es eine ordnende Instanz, die die gefundenen Wörter in eine syntaktisch und semantisch sinnvolle Anordnung bringt. Dies gilt gerade dann, wenn das Ausgangsmaterial bestimmte Flexionsformen konsequent verhindert (ist bspw. der Buchstabe T nicht vorhanden, kann von Verben kein Präsens der 2. oder 3. Person Singular gebildet werden) oder das realisierbare Vokabular derart disparaten Kontexten stammt, dass es erst über eine trickreiche Anordnung sinnvoll aufeinander bezogen werden kann.

Das poetische Potential letzterer Form des Anagrammierens liegt im unverwertbaren Rest einer Zeile, der entweder zur Kreation neuer Wörter/Eigennamen zwingt oder durch Worttrennung in die nächste Zeile übergeht und so zur Keimzelle für neue anagrammatische Verschiebungen und Verkettungen wird.

03. 04. 12 /// Johanna Stapelfeldt

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A. von Eigennamen als Form des Herrscherlobs: Lykophron, Πτολεμαίος -> απο μελίτος (3. Jh.v.Chr.) /// A. als Technik der Tora-Exegese in der jüdischen Mystik /// A. als Praxis des Buchstabenrätsels im 16./17. Jahrhundert /// A. als Organisationsprinzip poetischer Texte: Anagramm-Studien von Ferdinand de Saussure (1906-1909) /// A. als serielle Permutation mit begrenztem Ausgangs­material: Unica Zürn, Der Mann im Jasmin (1977), Im Staub dieses Lebens (1980); Oskar Pastior, Anagrammgedichte (1984); Elfriede Czurda, Fälschungen (1987); André Thomkins, Gesammelte Anagramme (1987); Magdalena Sadlon, Man sucht sein Leben lang. 41 Anagramme (1988); Hansjörg Zauner, Zeichen schmelzen Sinn. Anagramme (1990); Neda Bei, ich nagte grade am m. anagrammgedichte (1992); Heidi Pataki, guter ruf / die hl familie. Gedichte und gezeichnete Anagramme (1994); Michelle Grangaud, Formes de l’anagramme (1995); Brigitta Falkner, ABC – Anagramme, Bildtexte, Comics (1992), Bunte Tulpen: Anagramm (2004) /// A. als poetisches Übersetzungsverfahren: Oskar Pastior und Wiel Kusters, Zonder weerga / Seinesgleichen (1986), Oskar Pastior, o du roher iasmin. 43 intonationen zu „Harmonie du soir“ von charles baudelaire (2000)

03. 04. 12 /// J.S.

← Forschungsliteratur →

Julia Kristeva, „Zu einer Semiologie der Paragramme“, in: Helga Gallas (Hrsg.), Strukturalismus als interpretatives Verfahren, Darmstadt/Neuwied 1972, S. 163-200 /// Peter Wunderli, Ferdinand de Saussure und die Anagramme. Linguistik und Literatur, Tübingen 1972 /// Jean Starobinski, Wörter unter Wörtern. Die Anagramme des Ferdinand de Saussure, Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1980 /// Hans Bellmer, „Über Anagramme“, in: Unica Zürn, Das Weisse mit dem roten Punkt, Berlin 1982, S. 223 /// Elisabeth Kuhs, Buchstabendichtung. Zur gattungskonstituierenden Funktion von Buchstaben­formationen in der französischen Literatur vom Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Heidelberg 1982 /// Felix Philipp Ingold, „‚Du findest den Sinn‘. Zur Poetik des Anagramms“, in: Merkur 7, 1982, S. 721ff. /// Vladimir Toporov, „Die Ursprünge der indoeuropäischen Poetik“, in: Poetica 13, 1981, S. 189-251 /// ANAGRAMM 88, Freibord. Zeitschrift für Literatur und Kunst, Nr. 65 (3/88), 13. Jahrgang, hrsg. von Gerhard Jaschke, Wien 1989 /// Sabine Scholl, Fehler Fallen Kunst. Zur Wahrnehmung und Re/Produktion bei Unica Zürn, Meisenheim 1990 /// Jean Baudrillard, „Die Vernichtung (Extermination) des Namens Gottes, in: ders., Der symbolische Tausch und der Tod, München 1991, S. 299-314 /// Renate Kühn, Das Rosenbaertlein-Experiment. Studien zum Anagramm, Bielefeld 1994 /// Carola Hilmes, „Buchstabenrätsel. Unika Zürn und die Kunst der Anagramme“, in: dies. und Dietrich Mathy (Hrsg.), Spielzüge des Zufalls. Zur Anatomie eines Symptoms, Bielefeld 1994, S. 149-162 /// Erika Greber, „Gittergewebe, aus Buchstaben kombiniert: Mythopoetik und Anagrammatik“, in: dies., Textile Texte. Poetologische Metaphorik und Literaturtheorie, Köln/Weimar/Wien/Böhlau 2002

03. 04. 12 /// J.S.

reimen

↓ reimen ↓

Reimen als Schreibpraxis meint, mindestens zwei Worte so zu setzen, dass der Schreibende ihre partielle, phonetische Übereinstimmung hört. Entsprechend ist seine Hörkompetenz für das Verfahren entscheidend: Sie bestimmt, welche Arten phonetischer Übereinstimmung im Schreibprozess überhaupt bzw. noch als Gleichklang wahrgenommen werden und welchen (potenziell unendlichen) Abstand die reimenden Worte ohne Verlust dieser Wahrnehmung zueinander einnehmen können.

Wichtig ist die Unterscheidung von spontanem und geplantem Reimen: Wird das Verfahren unbeabsichtigt angewendet, wird sich der Reimende seines Reimens u.U. erst im Schreiben bewusst und von ihm überrascht; dabei werden Reimworte eher überhört – aufgrund zu großer Entfernung zueinander und/oder zu ‚schwacher‘ Klangbeziehung. Wird dagegen z.B. ein Reimschema aufgefüllt, ist der Schreibende schon auf die festgelegten (potenziell größeren) Abstände und (potenziell ‚schwächeren‘) Klangbeziehungen eingestellt.

Es lassen sich drei Grundformen des Verfahrens ausmachen: Alliteration, Assonanz, Endreim. Diese Unterscheidung kann einen Überblick verschaffen, aber nicht alle Arten von Tonbeziehungen zwischen Worten hinlänglich beschreiben.

Alliteration: Der Zusammenklang liegt im gleichen Anlaut akzentuierter Silben, manche Konsonantenfolgen werden als Einheiten aufgefasst (st, sp, sk). Beispiele: Stamm : Stulpe / Alter : Amygdala / Kiste : Kahn.

Assonanz: Der Zusammenklang liegt auf Vokalebene, die Vokale akzentuierter Silben zweier oder mehrerer Worte sind gleich. Beispiele: Haltbarkeit : lachgasfrei / Flegel : Ehre / Lageplan : Jade, klar.

Endreim: Das Lautmaterial ist mindestens ab dem letzten betonten Vokal zweier Worte (in der Regel jeweils an einem Versende stehend) vollständig gleich. Beispiele (letzter betonter Vokal jeweils fett): Teiche : Leiche / Schweine : Heine / Baumstämme : Meerschaumkämme.

Reimeffekte werden wesentlich durch den Abstand der Reimworte und den Grad ihrer klanglichen Übereinstimmung bestimmt. Wird z.B. ein Text unter Verwendung unterschiedlicher Reimweisen und unregelmäßiger Abstände der Reimworte klanglich verdichtet, ergibt sich als primärer Effekt ein Sinnlichkeitszuwachs der Sprache auf Lautseite. Dies kann in eine Überbetonung der klanglichen Dimension kippen, wenn z.B. Ketten von Schlagreimen auftreten. Erscheinen Reime in Versendstellung, werden die korrespondierenden Verse formal vernetzt; außerdem erhöht sich ihre Merkbarkeit.

Das poetische Potential des Reimens ist eines der Überraschung; beim geplanten Reimen provoziert durch formalen Zwang: Der Schreibende stößt u.U. durch Zusammenklang auf einen unerwarteten semantischen Zusammenhang (Harmonie, Kontrast etc.) zwischen den Reimworten und ungeahnte inhaltliche Möglichkeiten tun sich auf. Beim spontanen Reimen stellt der ‚Fund‘ vor Folgeentscheidungen: ob die entdeckte Klangstruktur genutzt, unbeachtet gelassen oder zurückgenommen wird. Kommt es zu einer reimfordernden Formentscheidung, wird das spontane zum geplanten Reimen. Beim geplanten Reimen können sich Reime entsprechend auch an unvorhergesehener Stelle, spontan, ergeben und den Schreibprozess als nicht einkalkulierte Wirkkraft mitstrukturieren. Das poetische Potential des Reimens liegt demnach wesentlich in der Offenheit seines Überraschungsmoments: wie weiter mit ihm verfahren wird.

26. 11. 11 /// Mischa Mangel

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R. als Überraschung durch Einbindung von Fremdworten: Gottfried Benn, Sämtliche Gedichte (1998) u. Rainer Maria Rilke, Gedichte 1895 bis 1910Gedichte 1910 bis 1926 (1996) /// R. als ausdrückliche Versinnlichungsmaßnahme für Texte: Anja Utler, plötzlicher mohn: Münchner Reden zur Poesie /// R. als Nonsensmotor: Christian Morgenstern, Galgenlieder (1905) /// R. zu humoristischen Zwecken: Robert Gernhardt, Gesammelte Gedichte (2005) /// R. als Exzess: Bas Böttcher, Neonomade (2009) /// R. als Wortspiel: Stefan George, Über Dichtung (1894) /// R. an den Grenzen des Gleichklangs: Emily Dickinson, The complete poems of Emily Dickinson (1976) u. Jan Wagner, Achtzehn Pasteten (2007) // Quasi-hypnotisches R. als Wiederholung des gleichen Worts: Georg Trakl, Das dichterische Werk (1998) /// R. als Artistik: Peter Rühmkorf, Gedichte, Werke 1 (2000) /// R. als expliziertes poetologisches Prinzip zur Erhöhung der Merkbarkeit: Norbert Hummelt, Wie Gedichte enstehen (2009) u. pans stunde (2011) /// R. als Auswahlprinzip für jedes Wort des Texts: Oskar Pastior, Vokalisen und Gimpelstifte (1992)

26. 11. 11 /// M.M.

← Forschungsliteratur →

Christoph Wagenknecht, Deutsche Metrik. Eine historische Einführung, 5. Auflage, München 2007 /// Christoph Burkhard, Metrik, Stuttgart 2004 /// Wolfgang Kayser, Kleine deutsche Versschule, 27. Auflage, Stuttgart 2002 /// Peter Rühmkorf, agar agar – zaurzaurim. Zur Naturgeschichte des Reims und der menschlichen Anklangsnerven, Reinbek 1981 /// Claus Schuppenhauer, Der Kampf um den Reim in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts, Bonn 1970 /// Ulrich Ernst, Peter-Erich Neuser (Hrsg.), Die Genese der europäischen Endreimdichtung, Darmstadt 1977 /// Bert Nagel, Das Reimproblem in der deutschen Dichtung. Vom Otfridvers zum freien Vers, Berlin 1985 /// Andreas Thalmayr, Das Wasserzeichen der Poesie oder die Kunst und das Vergnügen, Gedichte zu lesen, Frankfurt am Main 1989

26. 11. 11 /// M.M.

polemisieren

↓ polemisieren ↓

Polemisieren heißt, sich eindeutig gegen etwas Bestimmtes auszusprechen. Die Aussprache kann sich, rein negierend, gegen etwas Bestimmtes richten oder etwas Eigenes, in scharfer Abgrenzung zum anderen, stark machen. Die polemische Äußerung kann sich gegen Meinungen, Positionen oder Verhältnisse richten, aber auch gegen Personen oder Personengruppen – meistens in deren Eigenschaft als Vertreter einer bestimmten Meinung oder Position.

Zweck des Polemisierens ist es, die Leser von der Falschheit des gegnerischen Standpunktes zu überzeugen; aus diesem Grund ist in erster Linie nicht der Gegner, sondern die Leserschaft der Adressat einer Polemik.

Es gibt unterschiedliche Spielarten des Polemisierens, doch allen ist gemeinsam, dass stets eindeutig eine bestimmte Meinung vertreten wird: Wer polemisiert, hegt weder Zweifel an seinem Standpunkt, noch wägt er ab oder lässt Raum für offene Fragen. Nur einseitige Argumente werden geltend gemacht, gegnerische allenfalls angeführt, um sie zu schwächen oder zu widerlegen.

Anlass einer Polemik ist in der Regel ein persönliches, emotionales Betroffensein. Jenes wird beim Schreiber durch die Meinung, die Zustände oder auch die Person hervorgerufen, gegen die er polemisieren wird. Beim polemischen Schreiben sind also Affekte wie Wut, Zorn, Hass oder Frustration mit im Spiel. Solche Emotionen können Auslöser einer polemischen Auseinandersetzung mit ihrer Ursache sein, sie schlagen sich aber auch häufig im Geschriebenen selbst nieder. Das Polemisieren bietet dem Schreibenden die Möglichkeit, seinen Affekten Luft zu machen und sich durch und während des Vorgangs des Polemisierens von ihnen zu befreien.

Eine geglückte Polemik wird in der Öffentlichkeit auf Resonanz stoßen; mit der Absicht, die erste Polemik zu erweitern, zu relativieren oder zu widerlegen, werden weitere Polemiken veröffentlicht; auf diese wird der erste Schreiber oder auch ein Dritter wiederrum reagieren. Darin liegt das poetische Potential des Polemisierens: Im Idealfall führt eine einzelne Polemik zu einem dynamischen Prozess.

Durch dieses Eingebundensein in eine öffentliche Diskussion bekommt der polemisierende Autor die Freiheit zur bewussten Übertreibung und Grenzüberschreitung. Schließlich wird die Öffentlichkeit entscheiden, ob seine Behauptungen so stehen bleiben dürfen oder ob sie moderiert oder modifiziert werden müssen. Der Polemiker darf Behauptungen aussprechen, die in anderen Kontexten unmöglich wären. Er erwartet also geradezu Widerspruch – er fordert ihn sogar bewusst heraus. Diese Möglichkeit zur Grenzüberschreitung wird dann ergriffen, wenn es darum geht, neue Denkansätze oder Sichtweisen zu etablieren, wenn Forderungen gestellt oder allgemeingültige Wahrheiten eingerissen und ersetzt werden sollen. Polemisiert wird dort, wo Altes, Festgefahrenes und Traditionelles gesprengt werden muss.

23. 11. 11 /// Eva Zink

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P. als Bloßstellung des Gegners: Dunkelmännerbriefe (1515, 1517) /// P. als Befreiung von alten Überzeugungen: Johann Wolfgang von Goethe, Prometheus (1772-1774) /// sachlich-argumentatives P.: Johann Wolfgang von Goethe: Farbenlehre. Polemischer Teil (1810); Karl Marx, Ad Feuerbach (1845) /// Anleitung zum rechthaberischen P.: Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik oder Die Kunst Recht zu behalten (um 1830) /// P. als revolutionäre Handlung: Georg Büchner, Hessischer Landbote (1834) /// P. als Produkt von Frustration: Arthur Schopenhauer, Zweite Vorrede, in: Die Welt als Wille und Vorstellung (1844) /// P. als Zeit- und Politikkritik: Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen (1844) /// P. zur Etablierung von Neuem: Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral (1887) /// persönlich-vernichtendes P.: Karl Kraus, Harden. Eine Erledigung (1907)

23. 11. 11 /// E.Z.

← Forschungsliteratur →

Wilhelm Emrich, Polemik. Streitschriften, Pressefehden und kritische Essays, Frankfurt am Main 1968 /// Ludwig Rohner, Die literarische Streitschrift. Themen, Motive, Formen, Wiesbaden 1987 /// Stefan Straub, Der Polemiker Karl Kraus. Drei Fallstudien, Marburg 2004 /// Jean-François Lyotard, Der Widerstreit, München 1989 /// Hermann Stauffer „Polemik“. in: Gert Ueding, Walter Jens (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 6, Tübingen 1992, S. 1403-1415

23. 11. 11 /// E.Z.

↑ Postskriptum ↑

1. Der Vorgang des Polemisierens lässt sich wie folgt skizzieren: (1) Der potentielle Polemiker stört sich an oder empört sich über etwas und wird dadurch emotional aufgewühlt. Aus dieser Nichtakzeptanz entsteht der Wille und die Absicht eine Polemik zu verfassen. (2) Zur Ausführung dessen muss der Schreiber sich zunächst darüber klar werden, welche Punkte es sind, an denen er sich stößt, warum und was ihn genau daran stört und welche Antihaltung er dazu einnimmt – er muss eine Alternative entwerfen. (3) Darauf aufbauend kann er eine Argumentation ausarbeiten: Er muss Argumente finden, durch die er den Gegner angreifen kann, eine eigene (Anti-)These aufstellen und diese durch Argumente untermauern. (4) Desweiteren wird der Polemiker versuchen, Schwachstellen des Gegners aufzudecken. Dies können argumentative, logische Fehler oder Argumente ad hominem sein. (5) Darauf folgt die sprachlich-stilistische Ausformulierung der Polemik und (6) ihre Veröffentlichung.

2. Typische sprachliche Mittel, die in Polemiken zum Einsatz kommen sind folgende: Die Argumente, die die eigene Haltung unterstützen, werden so weit zugespitzt, pointiert, oder verkürzt präsentiert, als wären sie die einzig gültigen; gegnerische werden übertrieben wiedergegeben, um sie ab absurdum zu führen und ins Lächerliche zu ziehen. Ironie, Sarkasmus und Zynismus sind geläufige Stilmittel um die Schwächen des Gegner offenzulegen oder ihn sogar bloßzustellen und unmöglich zu machen. Es kommt auch vor, dass der Gegner persönlich angegriffen, beleidigt, beschimpft oder verspottet wird. Die Sympathie des Lesers soll durch Witz gewonnen werden. Es wird versucht ihn durch Horrorszenarien, Metaphern, Vergleiche und Beispiele von der Falschheit des Gegners zu überzeugen. Weitere geläufige Mittel sind rhetorische Fragen, Schwarz-Weiß-Zeichnungen, Antithesen und Sprachspiele.

3. Vom Nutzen des Polemisierens:
„Wenn einer gegen dieses schreiben will, so wird mir das willkommen sein. Denn Wahr und Falsch wird auf keine Weise besser offenbar und enthüllt als im Widerstand gegen den Widerspruch.“ A. Augustinus
„Der Streit hat den Geist der Prüfung genähret, hat Vorurteil und Ansehen in einer beständigen Erschütterung erhalten, kurz, hat die geschminkte Unwahrheit verhindert, sich an der Stelle der Wahrheit festzusetzen.“ G. E. Lessing

4. Gefahren des Polemisierens:
„Heine und Platen, auch Kraus und Harden – ihre Polemik versandete, aber jeder der Streithähne hatte am Ende etwas verspielt […]. Manchmal ist der Ruf, den einer zerstört sein eigener.“ L. Rhoner

23. 11. 11 /// E.Z.

sensibilisieren

↓ sensibilisieren ↓

Sensibilisieren meint, einen Text so zu gestalten, dass er andere empfindlich für bzw. aufmerk­sam auf etwas macht. Sensibilisiert werden kann für Gegenstandsbereiche der außerliterari­schen Wirklichkeit, wie beispielsweise soziale Missstände oder verdeckte Implikationen bestimm­ter Rede- bzw. Umgangsweisen, für Bereiche des sinnlichen Erlebens sowie für literarische Phänomene, wie zum Beispiel gängige Erzählstrukturen.

Anlass für ein sensibilisierendes Schreiben ist meist die Vermutung, etwas sei noch nicht oder nicht deutlich genug wahrgenommen worden. Ob das Sensibilisieren schließlich auch bei denjenigen, die den Text lesen, die gewünschte Wirkung hat, kann im Schreiben nicht vorherbestimmt werden. Aber da jedes Schreiben bereits Selektion bedeutet und so bestimmte Aspekte hervorgehoben oder besonders betont werden können, wird es doch möglich, die Aufmerksamkeit des Lesers in eine bestimmte Richtung zu lenken. Je urteilsfreier dabei die Präsentation der dargebotenen Möglichkeiten erfolgt, desto eher wird eine Lektüresituation geschaffen, die ihrerseits zur genauen, sensiblen Wahrnehmung dieser Möglichkeiten anhält.

Sensibilisieren, als Schreibverfahren verstanden, setzt voraus, dass der Schreibende sich bereits oder allmählich affiziert weiß von einem Sachverhalt oder Eindruck, den er als Impuls für sein weiteres Vorgehen nutzen kann. In einem nächsten Schritt wird es darum gehen, den Anlass, der zur eigenen Sensibilisierung geführt hat, im Schreiben so zu reproduzieren, dass er auch für andere wirksam werden kann. Dabei wird das Sensibilisieren des Lesers zwar anvisiert, ein Gelingen kann jedoch, wie bereits erwähnt, nie vorausgesetzt werden.

Der Versuch, die eigene Sensibilisierung in einen Text zu übertragen, kann unterschiedlich gestaltet werden. Eine Möglichkeit besteht darin, über genaue Beschreibung die Wahrnehmung zukünftiger Leser zu sensibilisieren. Eine andere Möglichkeit wäre, durch Überforderung den gewohnten Wahrnehmungsstrom zu unterbrechen und so den Leser für etwas zu sensibilisieren, das zuvor nicht wahrgenommen wurde. Dafür können z.B. visuelle Mittel verwendet werden: Durchstreichungen, Unterstreichungen oder Überschreibungen. Die häufige Verwendung gezielt ausgewählter Wörter und/oder Buchstaben kann ebenso eine Sensibilisierung erzeugen wie das Einbeziehen von Bildmaterial oder das gezielte Auslassen von zu erwartenden Textelementen.

In den zuletzt genannten Fällen zielt das Sensibilisieren darauf ab, die Wahrnehmung durch Diskontinuität zu irritieren. Sensibilisieren bedeutet in diesem Fall die Unterbrechung gewohnter Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster und ihre Verschiebung hin zu einer neuen Perspektive, einem anderen Wahrnehmungsfokus. Das poetische Potential des Verfahrens besteht gerade darin, dass die Wahrnehmung zukünftiger Leser und des Schreibenden selbst zwar sensibilisiert werden kann, eine Vorherbestimmung der Richtung, in die die Aufmerksamkeit gelenkt wird, jedoch unmöglich ist. So kann die besagte Unterbrechung des Wahrnehmungsstromes zum Aufmerken für ein Phänomen führen, das der Schreibende selbst zuvor nicht im Blick hatte. Die freigesetzte Aufmerksamkeit kann an eine Unzahl von Sachverhalten und Eindrücken anschließen und das Schreiben wie das Lesen in Gang halten.

23. 07. 11 /// Ninon Katschmarz

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S. für soziale Missstände: Charles Dickens, Oliver Twist (1837) /// S. für typographische Strukturen: Stéphane Mallarmé, Un coup de dés jamais n’abolira le hasard (1897) /// S. als sprachlicher Akt der Aufmerksamkeit: Paul Celan, Der Meridian (1960) /// S. für sinnliches Erleben: Patrick Süskind, Das Parfum (1985); Jean-Paul Sartre, Der Ekel (1938) /// S. durch visuelle Mittel wie Durchstreichungen und das Einbeziehen von Bildmaterial: Jonathan Safran Foer, Extrem laut und unglaublich nah (2005) /// S. durch Diskontinuität der Erzählperspektive: Jonathan Safran Foer: „Alles ist erleuchtet“ (2005) /// S. durch genaue Beschreibung: John Berger, SauErde – Geschichten vom Lande (1982) /// S. durch Übertreibung: Rolf Dieter Brinkmann, Keiner weiß mehr (1968); Sibylle Berg, Ende gut (2005); Rainald Goetz, Abfall für alle (1999)

23. 07. 11 /// N.K.

← Forschungsliteratur →

Aleida und Jan Assmann (Hrsg.), Aufmerksamkeiten, München 2001 /// Jonathan Crary, Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur, Frankfurt am Main 2002 /// Hans Blumenberg, „Auffallen und Aufmerken“, in: ders., Zu den Sachen und zurück, Frankfurt am Main 2002, S. 182-206 /// Martha Nussbaum, „Finely Aware and Richly Responsible: Attention and the Moral Task of Literature“, in: The Journal of Philosophy LXXXII (1985), S. 516-529 /// Richard Rorty, „Grausamkeit und Solidarität“, in: ders., Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt am Main 1989 /// Barbara Thums, Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und Selbstbegründung von Brockes bis Nietzsche, Paderborn 2008 /// Bernhard Waldenfels, Phänomenologie der Aufmerksamkeit, Frankfurt am Main 2004

23. 07. 11 /// N.K.

↑ Postskriptum ↑

Es gibt eine Spielart des Sensibilisierens auf dem Gebiet der Täuschung. Im Kriminalroman beispielsweise ist es ein gängiges Verfahren, den Leser für die Auflösung eines bestimmten Handlungsstrangs zu sensibilisieren, der sich im Nachhinein als durch eine Figur zum eigenen Vorteil erfunden herausstellt (= ‚Red Herring‘). Die Sensibilisierung findet in diesem Fall sowohl innerhalb der Erzählung statt (eine Figur täuscht andere Figuren durch Sensibilisierung) als auch, im Erfolgsfall, außerhalb (der Leser wird mitgetäuscht). Diese Spielart setzt, im Gegensatz zu dem im Artikel beschriebenen Verfahren, keine Affizierung des Autors durch eigene Sensibilität voraus, sondern im Gegenteil das perfide Kalkül der Täuschungswirkung des eigenen/ gewählten Sensibilisierungsverfahrens. Eine Ausnahme hierfür wiederum würde die Variante darstellen, einen Text, der aus einer echten eigenen Sensibilität heraus geschrieben wurde, im Nachhinein – durch die Veränderung des Kontextes – als Material für die bereits erklärte Täuschung zu nehmen.

23. 07. 11 /// Mathias Prinz

atomisieren

↓ atomisieren ↓

Atomisieren meint das Zerlegen eines Ganzen in seine kleinsten Teile oder ein vollständiges Zertrümmern eines Komplexes. Durch den Atomisierungsprozess wird die ursprüngliche Form gänzlich aufgelöst oder zersprengt, so dass diese nicht mehr erahnt werden kann. Was von ihr übrigbleibt oder aus ihr entsteht, ist etwas, das selbst noch keine Form zu haben braucht. Atomisieren bedeutet demnach einen Angriff auf die Form, wobei der Prozess gleichzeitig neue Formen ermöglichen kann. Voraussetzung für den Prozess des Atomisierens ist, dass es etwas gibt, das atomisiert werden kann. Der Atomisierungsprozess bezieht sich demnach stets auf etwas Bestehendes – im Falle des Schreibens in der Regel auf einen bereits vorliegenden Text oder mehrere vorliegende Texte.

Der Prozess des Atomisierens kann dabei im Herauslösen oder direkten Umgruppieren von Wörtern bestehen. Das Ergebnis ist eine Ansammlung unverbundener Wörter oder eine erkennbare Neuanordnung von Wörtern, die dadurch als einzelne Elemente neu wahrnehmbar werden. Ein Atomisierungsprozess kann aber auch bis in die Ebene der Buchstaben und Satzzeichen hineinreichen, so dass diese wiederum als kleinste Einheiten eines Textes erkennbar und zum Einsatzpunkt der poetischen Arbeit genommen werden können. Wichtig ist, dass die Festlegung, was innerhalb des Atomisierungsprozesses als kleinste Einheit gelten soll, im Prozess selbst vorgenommen oder auch gezielt offen gelassen werden kann. In jedem Fall jedoch bleibt etwas übrig: Buchstaben, Wörter, Satzzeichen oder Bruchstücke, die den Anfang eines neuen Prozesses bilden können. Was schließlich als Ergebnis dieser Prozesse in Form eines Textes zurückbleibt, kann rückwirkend einen Eindruck vom Verfahren vermitteln, auch wenn der tatsächliche Verlauf des Verfahrens selbst nicht mehr wahrgenommen werden kann. Denkbar sind auch Atomisierungsverfahren, die als solche, das heißt in ihren einzelnen Phasen, vorgeführt werden, wodurch das Verfahren offengelegt wird und in seinem Verlauf auch nachträglich noch nachvollzogen werden kann.

Gegenstand des Atomisierungsprozesses kann sowohl ein selbstverfasster Text als auch ein Fremdtext sein. Zudem gibt es zwei Möglichkeiten, mit dem Prozess anzufangen, wobei es auch zu einem Wechselspiel der beiden Möglichkeiten kommen kann: Im einen Fall folgt das Vorgehen einem von Anfang an bestehenden Plan, wie etwa dem, die einzelnen Vokale eines Textes herauszulösen und neu zu gruppieren. Im anderen Fall ist der Ansatzpunkt der Atomisierung nicht von Anfang an festgelegt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Text durch wahlloses Zerschneiden in einzelne Teile zerlegt wird. In diesem Fall kann es passieren, dass das Material selbst anfängt, sprechend zu werden. Das ungezielte Vorgehen kann also durchaus dazu führen, dass neuer Sinn entsteht, woran sich wiederum neue Arbeitsschritte (z.B. Tilgung, Einfärbung, Neugruppierung) anschließen lassen.

Das poetische Potential liegt in der durch den Atomisierungsvorgang bemerkbar werdenden Formlosigkeit des atomisierten Textes. Wenn aber der Vorgang selbst seine Prozessqualität behalten soll, dann kann dies nur dadurch geschehen, dass die Formlosigkeit zumindest stückweise auch im Fortgang des Prozesses erhalten bleibt. Durch das Wechselspiel der beiden Möglichkeiten, des gezielten und ungezielten Atomisierens, kann das Formlose des Textes stetig in eine neue Formlosigkeit, aber auch in neue Formen überführt werden. In diesem Wechselspiel entfaltet sich das poetische Potential, indem neue Verfahren aus dem zerlegten Text entwickelt und an den Atomisierungsprozess angeschlossen werden können.

23. 07. 11 /// Felicitas Kotzias

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A. als Gedankenexperiment zwecks Bestimmung der kleinsten semantischen Einheiten der Sprache: Platon, Kratylos (ca. 400 v. Chr.) /// A. als Konzept von Zerstörung der Syntax zur Befreiung der Worte in den Manifesten des Futurismus: Filippo Tommaso Marinetti, Technisches Manifest der futuristischen Literatur (1912); ders., Zerstörung der Syntax – Drahtlose Phantasie – Befreite Worte(1913); Benedikt Livsic, Die Befreiung des Wortes (1913); Aleksandr Kruconych, Deklaration des Wortes als solches (1913) /// A. als materielles Zerschneiden von Textes im Dadaismus: Tristan Tzara, Pour faire un poème dadaïste (1920) /// A. als Auflösung der semantischen Einheit von Worten in einzelne Phoneme: Kurt Schwitters, Sonate in Urlauten (1923-32); ders., Manifest über Konsequente Dichtung (1924) /// A. mit Sonettzeilen als kleinsten Einheiten: Raymond Queneau, Cent mille milliards de poèmes (1961) /// A. als „molekulares Cracking“: Oskar Pastior, Sonetburger (1983); ders., Anagrammgedichte (1985) /// A. als analytische Arbeit an und mit einer Silbe: Thomas Schestag, buk. Paul Celan (1994) /// A. als Grundlage eines Neuordnungsprozesses: Ursus Wehrli, Kunst aufräumen (2001) /// negatives A. als Verschwindenlassen von Textbestandteilen: Uljana Wolf, falsche freunde (2009)

23. 07. 11 /// F.K.

← Forschungsliteratur →

Christoph Zeller, „Atomisierung“, in: ders., Ästhetik des Authentischen. Literatur und Kunst um 1970, Berlin/New York 2010 S. 71-77 /// Markus Pissarek, „Atomisierung der einstigen Ganzheit“ – das literarische Frühwerk Hermann Brochs, München 2009

23. 07. 11 /// F.K.

↑ Postskriptum ↑

Die Bezeichnung „Atom“ für die kleinste unteilbare Einheit von Materie leitet sich vom griechischen ἄτομος (átomos: „das Unteilbare“) ab und hat sich seit dem 19. Jahrhundert durchgesetzt, obwohl sich das Atom bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wiederum als teilbar erwiesen hat. Eine produktive Übertragung des Verbs Atomisieren auf den Bereich der Sprache wird entsprechend zu berücksichtigen haben, dass das, was innerhalb der Sprache als kleinste Einheit gelten kann, festgelegt werden muss. Ebendies kann aber wiederum als Teil der Produktivität des Verfahrens begriffen werden.

23. 07. 11 /// F.K.